Er ist das Sinnbild des egomanen Verkehrsteilnehmers: Weil ein einziger Motorradfahrer sich die Freiheit nimmt, mitten in der Nacht mit aufgebohrtem Auspuff durch die Hauptstraßen zu dröhnen, schrecken in den Sommermonaten immer mal wieder Hunderte Mieter gestresst aus dem Tiefschlaf. Aber Anwohner der großen vier- oder sechsspurigen Straßen leiden nicht nur unter solchen Möchtegern-Easy-Ridern mit Lärmfetisch. Auch der normale Verkehr setzt sie einer enormen Belastung aus. Wer an Hauptstraßen wohnt, muss nicht nur Krach ertragen, er atmet oft auch besonders stark mit Stickoxiden belastete Luft ein. Studien haben deswegen gezeigt, dass vor allem weniger betuchte Menschen an Hauptstraßen wohnen.
Auf den ersten Blick verwundert es bei all dem, dass Rot-Grün beim Wohnungsbau nun auf die Bebauung der großen Ausfallstraßen, der sogenannten Magistralen, setzt – auch um den Grünschwund zu bremsen. Wollen ausgerechnet die Grünen also lieber Wiesen vor Bebauung schützen als Menschen vor Gesundheitsgefahren? Entstehen an Hauptstraßen die neuen Wohnsilos für Menschen mit geringen Einkommen?
Ganz so einfach ist es nicht. Denn zum einen lässt sich im modernen Wohnungsbau guter Lärmschutz relativ problemlos einbauen. Auch lassen sich Wohnungen so schneiden, dass etwa Schlafzimmer nicht auf der Straßenseite liegen. Zum anderen aber ist das große Programm zur Bebauung der Magistralen auch eine Wette auf die Verkehrswende. Das Ende der Dreck- und Lärmschleudern auf den Straßen der Städte muss sowieso eingeleitet werden. Dafür sorgen derzeit die EU und die Gerichte.
Immer mehr E-Autos und neuer Asphalt könnten die Belastung durch Lärm und Atemgifte auch an den Hauptstraßen drastisch senken, so die große Hoffnung. Mit seinen neuen Bauplänen macht sich der Senat deswegen auch selber Druck beim Thema Verkehrswende. Denn eines ist klar: Jeder Ausfallstraßen-Anwohner von morgen, könnte schon übermorgen vor Gericht ziehen – und die Einhaltung von Grenzwerten zum Schutz seiner Gesundheit einklagen.
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