Mit Jupp Heynckes soll ein 72-Jähriger die Bayern wieder auf Kurs bringen – ein Plädoyer für mehr Erfahrung.

Jupp Heynckes meidet Galas und Empfänge in der Regel wie Katzen ein Wasserbad. Als der Verband Deutscher Sportjournalisten jedoch im April Ludger Schulze, den früheren Leiter des Sportressorts bei der „Süddeutschen Zeitung“, in Hamburg für sein Lebenswerk auszeichnete, war es für den damals noch 71-Jährigen selbstverständlich, die Laudatio für seinen langjährigen Weggefährten zu halten. Nur eine kleine Episode, die aber viel aussagt über den Menschen Heynckes, bei dem Werte wie Verbundenheit und Freundschaft ganz oben angesiedelt sind.

Die tief verankerte Männerbande zwischen Uli Hoeneß und dem 2013 in Rente gegangenen Fußballlehrer dürfte nun auch eine entscheidende Rolle gespielt haben bei der Rückholaktion zum FC Bayern München. Nach dem Abgang des Italieners Carlo Ancelotti soll also ein 72-Jähriger das Starensemble zu neuer Stärke führen. Eine Sensationsmeldung – und ein radikaler Gegenentwurf zum Verjüngungsdrang mit Hoffenheims überaus talentiertem Trainer Julian Nagelsmann (30) an der Spitze der Jungtrainer.

Der Autor ist Sportchef beim Abendblatt
Der Autor ist Sportchef beim Abendblatt © HA | Andreas Laible

In unserer Gesellschaft geht die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung. Gingen 2005 nur 45 Prozent der 55- bis 65-Jährigen einer Erwerbstätigkeit nach, so waren 2015 laut Angaben des Statistischen Bundesamtes bereits zwei Drittel dieser Altersgruppe im Berufsleben noch aktiv. Anders in der Bundesliga: Wer jenseits der 50 ist, hat heute immer seltener eine Chance auf eine Anstellung. Das Durchschnittsalter der 18 aktuellen Erstliga-Trainer beträgt 43,5 Jahre, älter als Dortmunds Peter Bosz und Mönchengladbachs Dieter Hecking (beide 53) ist niemand.

Die Gründe für diesen Trend sind bekannt: Wer jung ist, gilt als modern, bringt neue Ideen mit und taugt ideal als Hoffnungsträger für eine erfolgreichere Zukunft der Clubs. Wer alt ist, hat auch schon Phasen des Misserfolgs erlebt. Das schreckt ab.

Warum die Bayern nun also die Option Heynckes einer Verpflichtung des 44-jährigen Thomas Tuchel vorziehen? Mag sein, dass der Altmeister vier Jahre aus dem Geschäft raus ist und die Weiterentwicklung des Fußballs nur passiv in seinem renovierten Bauernhof, idyllisch gelegen zwischen Mönchengladbach und der niederländischen Grenze, verfolgt hat. Viel wichtiger für die aktuelle Bayern-Mannschaft sind jedoch die Charaktereigenschaften von Heynckes, die nichts an ihrer Bedeutung im Sport verloren haben: bedingungslose Disziplin und Fleiß, gepaart mit der Fähigkeit, für ein (bei den Münchnern so dringend benötigtes) gutes Arbeitsklima zu sorgen.

Die nötige Autorität gegenüber den grundsätzlich egoistisch veranlagten und verwöhnten Fußballern bringt Heynckes angesichts seiner vielen Erfolge – 2013 verabschiedete er sich mit dem Champions-League-Titel – automatisch mit. Wer zudem weiß, dass er nur wenige Monate im Amt sein wird, kann sich – gestützt durch Vorstand und die Fans – frei von Ränkespielen entscheiden.

Auch wenn Heynckes eine Übergangslösung sein mag, so drängt sich angesichts der häufig so erbärmlichen Leistungen auf den Bundesliga-Plätzen die These auf, dass vielen Clubs Typen wie Heynckes guttun könnten. Egal, ob Profis zwei oder acht Millionen Euro verdienen, man kann den Fußball nicht jedes Jahr neu erfinden. Es war schon immer so, dass (frei nach Aristoteles) eine Gemeinschaft mehr ist als die Summe der Einzelspieler.

Die Königsaufgabe für Führungskräfte lautet, eine funktionierende Einheit zu bilden. Ältere Trainer haben dabei den Vorteil ihrer Erfahrung von hundertfach erlebten Konfliktsituationen und von Gelassenheit, weil sie schon etwas erreicht haben. Dass ein Altersunterschied von teilweise 50 Jahren zwischen Spielern und dem Trainer keine Rolle spielen muss, hat beispielsweise eindrucksvoll Horst Hrubesch bewiesen, der mit seiner Leidenschaft und Authentizität den Talenten nicht nur als fußballerischer Lehrer dient, sondern auch als Lebensratgeber und als Erzieher.