Nun also wieder Polen. In der Tennisschule in Puszczykowo, ihrem Rückzugsort seit vielen Jahren, will Angelique Kerber Kraft schöpfen. Nachdenken dar­über, welche Konsequenzen aus dem erschreckenden Erstrundenaus als Titelverteidigerin bei den US Open zu ziehen sind. Das Problem ist, dass die 29-Jährige in diesem Jahr schon zu häufig in Polen war, um bittere Rückschläge zu verarbeiten. Und die Wahrheit ist, dass sie noch oft dort hinreisen wird, ohne Wirkung zu erzielen, wenn sie nicht zwei grundlegende Änderungen herbeiführt.

Die eine wäre, dem über Jahre geschundenen Körper endlich die Regeneration zu gönnen, nach der er seit Monaten schreit. Erste Einsicht zeigte die Kielerin in New York, als sie bekannte, nach ihrer Traumsaison 2016 mit den Grand-Slam-Triumphen in Australien und Amerika sowie dem Olympiasilber in Rio zu wenig Urlaub gemacht zu haben.

Die zweite dürfte ihr noch schwerer fallen. Sie müsste anerkennen, dass das Jahr 2016 nicht den Leistungsstand widerspiegelt, den sie dauerhaft abrufen kann. Es war ein Jahr, in dem alles zusammenpasste, und das sie so nie mehr erleben wird. Die Erwartungshaltung von außen anzunehmen, sich in noch höhere Sphären fortentwickeln zu können, hat zu dem Druck geführt, unter dem Kerber seit Jahresbeginn zerbricht. Sie hat mehr erreicht, als alle ihr zugetraut hatten, und sie hat das Potenzial, weiter auf Topniveau zu spielen und große Titel zu holen – aber nur, wenn sie den Spaß am Spiel und das Vertrauen in die eigene Stärke zurückerlangt. Dafür jedoch sollte sie Rat von Fachleuten annehmen, anstatt sich in Polen zu grämen.