Hamburg ist Gastgeber der WM im Amateurboxen, und kaum einer weiß es. Eine Chance droht vertan zu werden.

Wer Raiko Morales dieser Tage ins Gesicht schaut, der könnte auf die Idee kommen, dass es nicht die Weltmeisterschaften im Amateurboxen sind, die an diesem Freitag in Hamburg starten, sondern das olympische Turnier. Tief haben sich die Ringe eingegraben unter Morales’ Augen; die Arbeit der vergangenen Monate, die der Sprecher des lokalen Organisationskomitees zu großen Teilen ehrenamtlich leistete, hat Spuren hinterlassen.

Wenn alle an der Organisation Beteiligten mit so viel Elan bei der Sache gewesen wären wie der 34-Jährige, im Hauptberuf in der Lufthansa-Technik beschäftigt, dann müsste sich niemand mit den Problemen herumschlagen, die die dritte Amateurbox-WM in Deutschland nach München 1982 und Berlin 1995 bedrohen. Angesichts der erschreckenden Vorverkaufszahlen und der Ahnungslosigkeit und des Desinteresses selbst unter dem Faustkampf zugewandten Sportfans in Hamburg und Deutschland steht zu befürchten, dass man den Satz des amerikanischen Poeten Carl Sandburg abgewandelt auch in den kommenden acht Wettkampftagen hören und lesen muss: „Stell dir vor, es ist WM, und keiner geht hin!“

Dass es ein ambitioniertes Ziel sein würde, die Sporthalle Hamburg mit ihren rund 5000 Plätzen nachmittags an Wochentagen zu füllen, war von vornherein klar. Aber dass nicht einmal der Versuch unternommen wurde, langfristig für die wichtigste Veranstaltung im olympischen Boxen nach den Sommerspielen selbst zu werben, ist fahrlässig.

In einer Stadt wie Hamburg, die im Sommer nicht nur an sportlichen Höhepunkten vieles bietet, muss man auffallen, wenn man anziehen will. Man hätte die zehn deutschen WM-Starter, die vom Sportsoldaten über den Daimler-Indus­triekaufmann bis zum Psychologiestudenten ein durchaus interessantes, multikulturelles und ambitioniertes Team bilden, denen vorstellen müssen, die Geld dafür bezahlen sollen, um ihnen zuzujubeln. Und man hätte aufklären sollen, warum es Hamburg rund 4,5 Millionen Euro wert ist, ein solches Turnier in der Stadt auszurichten.

All dies ist gar nicht oder in viel zu geringem Umfang geschehen. Verantwortung dafür tragen viele, ganz zuletzt allerdings die Stadt, die das unliebsame, weil teure Relikt der gescheiterten Olympiabewerbung dennoch vorbehaltlos finanziert. Der Weltverband Aiba als Ausrichter hat angesichts eines Finanzskandals und eines erbitterten Machtkampfs in der Führung, die seine Existenz bedrohen, aktuell andere Sorgen; positive Strahlkraft ist von ihm nicht zu erwarten. Der Deutsche Boxsport-Verband als Veranstalter muss sich fragen lassen, warum angesichts eines – abzüglich der zwei Millionen an die Aiba gezahlten Lizenzgebühr – immer noch gut 2,5 Millionen Euro hohen Etats nicht einmal 20.000 Euro für PR-Zwecke vorgesehen waren. Und er muss fragen, warum die von ihm beauftragten Agenturen nicht in der Lage waren, ihren Job professionell zu machen. Und der Hamburger Verband? Der ist durch einen Konflikt um seinen Sportdirektor seit acht Monaten in zwei Lager gespalten und damit zur Unzeit gelähmt.

Dennoch wäre es zu einfach, nur Funktionsträger zu geißeln und die Vereine und Boxfans in Deutschland von der Kritik auszunehmen. Es ist leider modern geworden in unserer Gesellschaft, dass besonders bei Großereignissen viele nur wissen wollen, was für sie abfällt, anstatt mit eigenen Ideen Aufmerksamkeit zu erlangen oder auch nur zu fragen, was sie tun können, damit alle profitieren. Die Hoffnung, dass eine Heim-WM langfristige Effekte für den Sport generiert, muss mit der Bereitschaft unterfüttert werden, sich einzubringen. Begeisterung kann zwar nicht erkauft werden, aber es gibt sie auch nicht zum Nulltarif.

Die große Chance, mit der Amateurbox-WM Hamburg auf der Weltkarte des Sports ein Stück fester zu verankern und zugleich dem oft skeptisch beäugten Faustkampf zu mehr Akzeptanz zu verhelfen, droht vertan zu werden. Noch aber ist es nicht zu spät. Noch sind neun Wettkampftage Zeit, um Versäumtes nachzuholen, sich einzubringen und mit dem Besuch der Titelkämpfe – der im Übrigen bereits für zehn Euro möglich ist – einen Beitrag zu einer erfolgreichen WM zu leisten. Die Sportler, ihre Teams und all die Helfer, die sich aufopfern für das Turnier, hätten das verdient.