Warum es gut ist, dass Rot-Grün Gehälter bei öffentlichen Firmen begrenzen will
Was gerecht ist und was nicht, ist ja immer auch eine Frage der Perspektive. In Hamburg zum Beispiel verdient der Bürgermeister, der für das Wohl und Wehe der gesamten Stadt verantwortlich ist, permanent im Fokus der Öffentlichkeit steht und alle fünf Jahre mit seiner Bilanz vor den Wählern bestehen muss, rund 180.000 Euro im Jahr. Viele Chefs „städtischer“ Unternehmen würden dafür nicht arbeiten. Im größten Krankenhaus der Stadt, dem UKE, erhält der ärztliche Direktor 570.000 Euro – das Dreifache des Bürgermeisters. Ist das gerecht? Nein, natürlich nicht.
Doch nehmen wir mal die Perspektive des UKE-Chefs ein: Er hat mehr als 10.000 Mitarbeiter, die mehr als 400.000 Patienten pro Jahr versorgen oder Mittel gegen tödliche Krankheiten erforschen – eine enorm wichtige und verantwortungsvolle Arbeit. Der Chef des Hamburger Modekonzerns Tom Tailor, der mit 6700 Mitarbeitern T-Shirts und Jeans unters Volk bringt, hat zeitweise 4,5 Millionen Euro verdient – fast das Zehnfache des UKE-Chefs. Ist das gerecht? Nein, natürlich nicht.
Man könnte unendlich viele solcher Vergleiche bemühen, könnte die Putzfrau dem Fußball-Millionär gegenüberstellen oder afrikanische Bauern den Börsenmaklern an der Wall Street und käme immer zum gleichen Ergebnis: Die Welt ist ungerecht. Es ist zum Verzweifeln. Hilft alles nix.
Man könnte aber auch versuchen, sich des Problems zumindest in der eigenen Einflusssphäre anzunehmen. SPD und Grüne in Hamburg tun das jetzt und fordern den Senat auf, einen Vergütungsrahmen aufzustellen: Für jedes öffentliche Unternehmen soll abhängig von Branche und Firmengröße individuell festgelegt werden, wie viel die Chefs im Verhältnis zu ihren Mitarbeitern verdienen dürfen. Ein ehrenwerter Ansatz, der zumindest in der Theorie Unwuchten aufdecken und beseitigen kann.
Aber wird er in der Praxis auch etwas ändern? Skepsis ist angebracht. Auswüchse wie bei DAX-Konzernen, wo der Boss schon mal mehr als das 100-Fache eines normalen Arbeiters verdient, gibt es in Hamburg nicht. Selbst ein Verhältnis von 1:10 findet man in kaum einem öffentlichen Unternehmen. An bestehenden Verträgen könnte ein Vergütungsmodell ohnehin nichts ändern. Und die Vermutung, dass Rot-Grün mit diesem Vorstoß vier Wochen vor der Bundestagswahl auch der nicht so recht zündenden Gerechtigkeitsdebatte von SPD-Chef Martin Schulz etwas Rückenwind verschaffen will, liegt natürlich nahe. Dennoch hat dieser Antrag seine Berechtigung. Denn er legt den Finger in eine Wunde, die viele Bürger schmerzt. Dass es diesem Land – und dieser Stadt – gerade so gut wie selten zuvor geht, ändert ja nichts daran, dass die Kluft zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft, dass sich viele Menschen abgehängt fühlen und Sorge vor materiellem und gesellschaftlichem Abstieg haben. Der Erfolg der AfD und vieler anderer Populisten in Europa und nicht zuletzt in den USA ist eine Folge dieser Stimmung.
Das Signal, dass die Politik potenzielle Ungerechtigkeiten erkennt und etwas dagegen unternimmt, ist daher nicht zu unterschätzen. Es ist jetzt an dem Senat, diesen Vergütungsrahmen mit Leben zu füllen, gegebenenfalls anzuwenden und so zu beweisen, dass der Vorstoß nicht nur ein Wahlkampf-Gag war. Die Erwartung, dass es danach in jeder Beziehung gerecht zugeht, hat ja niemand. Das wird immer eine Frage der Perspektive bleiben.