Polizei, Politik und Justiz müssen Fehler bei G20 konsequenter aufarbeiten

Drei Wochen nach dem G20-Gipfel liegt noch vieles im Nebel, nur eines scheint klar: Der schlimmste Schaden lässt sich weder von Glasern noch von Anwohnern reparieren. Er besteht in der Erkenntnis, auch in Hamburg nicht immer sicher zu sein. Im Gefühl, dass das grenzenlose Vertrauen in Staat und Polizei vielleicht naiv war.

Videos, die jetzt kursieren, sind Nahrung für diesen Schmerz. Sie zeigen Beamte, die prügeln, treten, die Nerven verlieren. Der Bürgermeister hat diese Bilder früh abgetan. Es habe keine Polizeigewalt gegeben, wer das behaupte, „denunziere“. Bereits am Tag nach dem G20-Gipfel sagte Olaf Scholz, er verbitte sich Kritik an der Polizei – diese Haltung ist für einen Demokraten und Volljuristen bedenklich. Und das Gegenteil der Behauptung zutreffend: Gerade weil die absolute Mehrzahl der Beamten nur Respekt für ihren Einsatz verdient, müssen die Verfehlungen Einzelner und die Befehle der Führung genau hinterfragt werden.

Es steht bislang nicht sehr gut um diese Aufklärung. Die Entschuldigung des Senats ersetzt noch keine echte Selbstkritik. Die CDU in der Bürgerschaft scheut zu scharfe Kritik an der Polizei aus Rücksicht auf die eigene Klientel – und steht über den Bund mit auf der Seite der Gipfel-Ausrichter. Die Grünen sind zwischen Koalitionsräson und eigener Überzeugung zerrissen; Linke und Vertreter der Roten Flora klagen routiniert die Polizei an, schließlich habe sie mit ihrem Vorgehen die Krawallmacher provoziert.

Es braucht Mut, aus diesen eindimensionalen Losungen auszubrechen. Die Lage ist zu kompliziert für einfache Antworten. Schuld an den Krawallen sind nur die Randalierer – aber Verantwortung tragen alle Beteiligten. Daraus erwächst die Pflicht, den eigenen Anteil zur Aufklärung beizutragen.

Für den Senat bedeutet das etwa, für die Aufklärung möglicher Polizeigewalt die gleiche Energie aufzubringen wie für die Verfolgung der Straftaten des Schwarzen Blocks. Das Dezernat Interne Ermittlungen braucht mehr Beamte, um die vielen Hundert Stunden an Videomaterial zu sichten; um die Beschuldigten aus anderen Bundesländern vernehmen zu können. Es fällt auch Polizei und Innenbehörde zu, das Vertrauen in die Selbstkontrolle des Staates zu stärken. Dazu gehört eine ehrliche Analyse: Werden die Beamten damit überfordert, im Einsatz häufig selbst über die richtige Maßnahme entscheiden zu müssen? Trägt die harte Polizeitaktik zu Übergriffen bei, wie Wissenschaftler vermuten?

Die Gegenseite muss derweil Farbe bekennen. Wer Übergriffe von Polizisten nicht zur Anzeige bringt, darf sich auch nicht darüber beschweren, wenn die Täter davonkommen. Wenn Linke nur anhand von kurzen Videos Polizisten vorverurteilen, handeln sie nicht besser als Autokraten wie Erdogan, die sie ablehnen. Die Vorfälle zu ermitteln, ist Sache der Fachleute. Noch gibt es nicht einmal eine Anklage. Aufklärung heißt auch, sich nicht in die eigene Sichtweise zu verrennen.

Ob die Randale vermeidbar war, was Hamburg lernen kann – dies muss die Bürgerschaft beantworten. Dazu müssten die Parteien ihre taktischen Erwägungen zurückstellen. Allein, das scheint ein frommer Wunsch zu sein – daran würde auch ein Untersuchungsausschuss wohl wenig ändern.

Eine Idee für diese Situation findet man ausgerechnet in den USA, wo es derzeit nicht viele gute politische Ideen gibt: einen Sonderermittler, der die Aufarbeitung ohne Scheuklappen auf allen Ebenen vorantreibt.

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