In Hamburg sind sie schon in der Minderheit – aber mit großen Möglichkeiten.

Wer inspizieren will, wie gut oder schlecht eine Stadt ohne die Kirche auskommen kann, sollte nach Hamburg fahren. Die Mehrheit der Menschen, die hier lebt, gehört längst keiner christlichen Religionsgemeinschaft mehr an. Die neuen statistischen Daten der beiden großen Kirchen belegen, dass nur noch weniger als 40 Prozent evangelisch oder katholisch sind. Bundesweit sind es immerhin 60 Prozent.

Ausgerechnet in der Stadt mit dem berühmten Michel, Norddeutschlands schönster Barockkirche, hat das institutionalisierte Christentum keinen leichten Stand. Kirchenaustritte, wie sie jetzt wieder in allerdings verminderter Zahl gemeldet werden, und leere Kirchenbänke sind freilich an Elbe und Alster nichts Neues. Es gab sie schon in der Weimarer Republik. Die Hanseaten sind wohl bevorzugt Freigeister, und nicht von ungefähr kamen aus Hamburg wesentliche Impulse für die Epoche der Aufklärung im 18. Jahrhundert.

Der Autor ist Redakteur in der Lokalredaktion beim Abendblatt
Der Autor ist Redakteur in der Lokalredaktion beim Abendblatt © HA

Deshalb sind die jetzt vorgelegten statistischen Daten in einen historischen und religionssoziologischen Kontext zu stellen. Hamburg ist nicht Fulda oder Münster, wo es noch so hübsch katholisch zugeht. In einer Metropole, die sich als „Tor zur Welt“ versteht, zählen Modernisierung und Pluralität zum Selbstverständnis. Je mobiler, moderner und wohlhabender die Menschen werden, umso geringer ist ihr Interesse an kirchlich praktizierter Religion. Es ist wohl erst die Not, die beten lehrt.

Weil Hamburgs Hafen und Firmen seit Jahrhunderten die wesentlichen Treiber für wirtschaftlichen Aufschwung sind und die Mehrheit der Bürger davon partizipiert, ist Religion im Stadtstaat eh und je Nebensache. Oder sie wird heutzutage gar nicht mehr gebraucht, weil reichlich Ersatz vorhanden ist: Fußball und Facebook zum Beispiel.

Wo früher ein Gottesdienst Gemeinschaft stiftete, reicht heute gegen die Einsamkeit eine gut gepflegte WhatsApp-Gruppe. Und wer einst gern in der Kirche die Liturgie mit dem Halleluja mitsang, muss heute nur ins Stadion gehen und „Hamburg, meine Perle“ schmettern. Dort wird der Priester vom Schiedsrichter ersetzt.

Dass Christen immer mehr zur Minderheit werden, muss überhaupt nicht von Nachteil sein. Es waren doch gerade erst die Strukturen von Dominanz, Autorität und Machtfülle, die dem Christentum zum Verhängnis geworden sind. Das Bündnis von Thron und Altar mit Waffen segnenden Geistlichen und die brutale Ausbeutung Amerikas durch die christlichen Eroberer im 16. Jahrhundert sprechen Bände und sind auch für viele Konfessionslose ein abschreckendes Beispiel kirchlichen Handelns.

Selbst wenn ihre Zahl weiter sinkt, können die Christen das „Salz der Erde“ bleiben. Auch mit weniger Mitgliedern hat die Kirche die Chance, die Welt und die Stadt ein bisschen besser zu machen. Es würde der evangelischen und der katholischen Kirche sogar guttun, auf bestimmten Feldern zu schrumpfen. Deshalb hat der Mitgliederschwund, den einige ausschließlich negativ bewerten, etwas Positives: In der kirchlichen Arbeit muss die Spreu vom Weizen getrennt werden. Und jede Gemeinde und jeder Christ sollte für sich entscheiden, was ihr bzw. ihm wichtig ist. Maßstab dafür kann nur sein, was der Herr der Kirche, nämlich Jesus Christus, auf den Weg gegeben hat: Gott und den Nächsten zu lieben.