Die beiden Brasilianer Walace und Douglas Santos haben ihr Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft. Doch Geduld ist gefragt.
Douglas Santos und Walace Souza Silva mussten in dieser Trainingslager-Woche ohne die gewohnte Verstärkung auskommen: Dolmetscher Edson Büttner fehlte in Rotenburg im Betreuerteam. So bot sich den HSV-Brasilianern die Chance, den bisherigen Sprachunterricht ausgiebig in der Praxis zu testen. Zweimal pro Woche sollen Santos und Walace nach der Rückkehr in Hamburg wieder Deutsch üben. Für SmallTalk und die gängigen Fußballkommandos reicht es längst, aber um wirklich flüssig in einer größeren Gruppe kommunizieren zu können, dafür fehlt doch (vor allem bei Walace) noch einiges.
In der öffentlichen Wahrnehmung spielen beide Spieler derzeit auch keine große Rolle. Das beherrschende Thema während der Vorbereitungszeit auf eine neue Bundesligasaison ist eher die Suche nach Verstärkungen nach dem Motto: Wer muss/soll noch kommen, damit Saisonziel XY erreicht werden kann? Übertragen auf den HSV bedeutet das: Wer kann helfen, damit dem Club eine weitere Horrorsaison erspart bleibt? Dabei müssten die Verantwortlichen gar nicht so lange suchen. Walace und Santos, die ihr Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft haben, könnten diesen Job durchaus mit übernehmen.
Geduld gehört im Fußballbusiness bekanntlich nicht zu den Grundtugenden, schon gar nicht beim HSV. Wie in einem Durchgangsbahnhof trafen in den vergangenen Jahren etliche Talente in Hamburg ein, die nach überschaubarer Verweildauer als zu schlecht befunden und wieder weggeschickt wurden. Ein Irrweg, der in sportlichen und wirtschaftlichen Misserfolg führte. Dabei galt schon immer: Wer sein Kapital mehren will, muss damit arbeiten.
Auch der erst 22 Jahre alte Walace hatte in seinen ersten Monaten einen schweren Stand. Im Winter für zehn Millionen Euro verpflichtet, steckte der Olympiasieger von 2016 von null auf 100 mitten im Abstiegskampf. In den entscheidenden Partien gegen den Abstieg durfte der defensive Mittelfeldspieler nur von draußen die Daumen drücken, dass der schrecklich anzusehende Fußball am Ende zur Rettung führt. Verständlich, dass Markus Gisdol in dieser Situation auf andere, erfahrenere Kräfte setzte.
Für den Fußball der Zukunft kann der HSV-Coach einen passsicheren und laufstarken Spieler wie Walace dagegen bestens gebrauchen. Doch nun gilt es, ihn zu fordern und zu entwickeln. Wer in der Zentrale das Spiel des HSV kontrollieren und gestalten soll, braucht intensiven Unterricht, nicht nur für die Beine, sondern auch für den Kopf.
Auf seiner Position muss ein Fußballprofi Verantwortung übernehmen, dazu gehört, dass er nicht nur auf dem Platz, sondern auch in der Kabine oder in der Kneipe mit den Mitspielern kommunizieren kann. Und damit sind nicht nur Floskeln wie „Was geht, Digger“ gemeint. Wer dominant agieren soll, benötigt aber auch Rückendeckung, also Vertrauen. Das heißt, dass man ihn nicht nach einem schwächeren Spiel aus der ersten Elf nimmt.
Aber auch Walace muss bereit sein, den Kampf mit der für ihn schwierigen Sprache aufzunehmen. Es lohnt sich! Jeder Student kennt es von einer längeren Auslandsreise: Wer in einer größeren Gruppe mitlachen kann, fühlt sich automatisch wohler. Es mag logisch klingen, wird aber viel zu selten im Fußball umgesetzt: Wer sich mit dem Lebensgefühl und der fremden Kultur auseinandersetzt, identifiziert sich automatisch stärker mit seinem Arbeitgeber, schaut nicht nur auf seinen Kontoauszug.
Wie Walace gehört auch der 23 Jahre alte Santos, der zunächst solide spielte, in der Rückrunde aber ebenfalls kaum noch zum Einsatz kam, nicht gerade zu den Lautsprechern des Teams. Gerade Brasilianer neigen dazu, wie die Erfahrung zeigt, sich in den Familien- und Freundesraum zurückzuziehen. Sie sind deshalb nicht automatisch leicht zu integrieren. Nicht jeder Samba-Fußballer ist ein offener Typ wie es der frühere Bayern-Stürmer Giovane Elber war. Spieler wie Santos benötigen noch mehr als andere Kicker Vertrauen, das sie dann mit Leistung zurückzahlen.