NDR-Chefdirigent Hengelbrock geht – das Ende der ersten Elbphilharmonie-Ära.

Man soll gehen, wenn es am schönsten ist? So gesehen kommt der gestern öffentlich verkündete ­Abschied von Thomas Hengelbrock einige ­Monate zu spät. Andererseits: Die Entscheidung über seine Zukunftspläne habe der ­Maestro seinem Dienstherrn schon vor Monaten mitgeteilt, hieß es im gleichen Atemzug. Als Chefdirigent des ­eigens umbenannten NDR Elbphilharmonie ­Orchesters ­erlebte er – mit dem weltweit bestaunten Höhepunkt am Abend des 11. Januar 2017 – in den vergangenen Jahren historische, einzigartige Monate. Ihm ist es zwar nicht zu verdanken, dass dieses Rundfunk­orchester zum Residenzorchester der Elbphilharmonie wurde, denn diese Weichen wurden weit vor seiner Amtszeit als junger, dynamischer Pult-Nachfolger des hanseatischen Weltbürgers Christoph von Dohnànyi gestellt. Doch dem naturcharmant moderierenden Publikumsliebling Hengelbrock, der das Orchester belebt hatte, ist mit zu verdanken, dass die ersten Spielzeit-Monate im neuen Hamburger Konzerthaus so waren, wie sie waren.

Mit Hengelbrocks Abschied endet die erste Elbphilharmonie-Ära, die dort doch gerade erst begonnen hatte. In den letzten Konzerten war mitunter Verspannung zwischen Tutti und Chef spür- und hörbar. Vieles fiel nicht mehr so leicht, wie es sollte, einiges misslang. Durchaus verständlich und menschlich angesichts der enormen Aufgaben, die ja vor allem Hengelbrock und dieses Orchester als Einspieler des neuen, noch nicht ganz berechenbaren Großen Saals zu stemmen hatten. Doch es verfestigte sich auch der Eindruck: Hier und jetzt, von diesen Künstlern, ist dann wohl das Ende der gemeinsamen Fahnenstange erreicht. Manchmal ist Dirigieren eben auch Freundschaft auf Zeit.

Das musikpolitische Dreiecksverhältnis in der Musikmetropole Hamburg gerät durch diese Personalie in neue, spannende Bewegung. Hengelbrock ist jetzt ein Maestro mit Ablaufdatum. Er arbeitet bis zum Ende der Spielzeit 2018/19 noch seine Verpflichtungen ab, dann: nach ihm der nächste. Und dieser Würfel scheint schon gefallen. Ausgerechnet bei dieser Personalie, die ihre wichtigste Immobilie betrifft, hat die städtische Kulturbehörde dem öffentlich-rechtlichen Orchester nichts zu sagen. Sie muss (hin-)nehmen, wer kommt. Nach dem tragischen Tod von Symphoniker-Chefdirigent Sir Jeffrey Tate muss auch dieses Orchester sich für eine Führungspersönlichkeit mit Kompetenz und Charisma entscheiden, die der Größe der Herausforderung und der Möglichkeiten in der Laeiszhalle gerecht wird. Bis der nächste NDR-Chefdirigent sein Arbeitszimmer im Backstage-Bereich der Elbphilharmonie bezieht, dürfte General­musikdirektor Kent Nagano verstärkt versuchen, seine Philharmoniker beim Prestige-Armdrücken möglichst gut zu positionieren.

Für die Qualität aller Beteiligten kann dieses Ringen um Exzellenz nur von Vorteil sein – vorausgesetzt, dass neue Dirigenten auch tatsächlich neue Impulse setzen können, wollen, dürfen. Auf dem Niveau, das die Elbphilharmonie von ihnen verlangt. Auf dem Niveau, das sie verdient. „Die Zeit der Dorfmusik ist vorbei“, stand im April 1962 am Eingang zum Star-Club, als sympathisch großmäulige Begrüßung zur Eröffnung. Als Versprechen, von ganzem Herzen Großes und anderes zu wollen. Diesen Slogan sollte die Kulturbehörde jetzt wieder für den Musikstadt-Dienstgebrauch aus dem Keller holen. Er wird nach wie vor ­gebraucht. In den nächsten Jahren mehr denn je.