Die „Jamaika“-Koalition in Kiel kann zum Testlauf für den Bund werden

Auf den ersten Blick ist die künftige „Jamaika“-Koalition in Schleswig-Holstein nur ein weiterer Farbtupfer auf der immer bunteren politischen Landkarte der Republik. Wenn das Bündnis von CDU, FDP und Grünen in Kiel in wenigen Wochen die Macht übernimmt – parallel zum schwarz-gelben Regierungsstart in Düsseldorf –, dann werden in den 16 Ländern insgesamt elf unterschiedliche Koalitionsmodelle erprobt. Vernunft statt Ideologie, Pragmatismus statt Lagerkampf – die Parteien machen das Beste aus dem Wählerwillen, der die Koalitionsbildung entlang der klassischen Linien immer schwerer macht.

Auf den zweiten Blick allerdings ist die CDU-geführte „Jamaika“-Koalition mehr als nur ein weiterer Regierungsversuch auf Landesebene. Viel spricht dafür, dass in Kiel gerade ein neues Bündnis auch für den Bund getestet wird. Was im hohen Norden eher aus der Not geboren wurde, könnte sich als Chance zur gesellschaftlichen Modernisierung in ganz Deutschland entpuppen: Die Pragmatiker in Kiel machen gerade vor, wie sich mit neuen Mehrheiten ökologische und liberale Politik klug verbinden lässt.

Der Autor ist Berlin-Korrespondent des Hamburger Abendblatts
Der Autor ist Berlin-Korrespondent des Hamburger Abendblatts © privat

Sicher, noch scheint vieles spekulativ, aber die Ausgangslage ist klar: Zweierbündnisse jenseits der Großen Koalition sind kaum noch erreichbar, wenn im September die AfD wohl als siebte Partei in den Bundestag einzieht. Doch bei Union und SPD ist die Neigung, abermals zusammen die Regierung zu bilden, auf ein Minimum geschrumpft. Beide Volksparteien wissen, dass eine Fortsetzung der GroKo nur die politischen Ränder stärken würde. Und in großen Teilen der SPD-Basis ist die Partnerschaft mit der Union inzwischen so verhasst, dass die Genossen die Koalitionsbildung schon in der kaum vermeidbaren Mitgliederbefragung stoppen dürften.

Dann ist nach Lage der Dinge die Hoffnung wohl Grün und Gelb: Von den theoretisch infrage kommenden Dreierbündnissen hat die nun in Kiel zum Praxistest antretende „Jamaika“-Koalition noch die größten Chancen. Weder für eine Ampel noch für Rot-Rot-Grün würde es nach Einschätzung der Demoskopen auch nur annähernd reichen. Und selbst wenn SPD, Linke und Grüne am Ende doch so viele Stimmen erzielen sollten, dass ein Mitte-links-Bündnis möglich wäre – die Hürden für ein solches Experiment sind diesmal noch zu hoch. Unterm Strich ist das eine entmutigende ­Perspektive für die SPD, die es versäumt hat, Rot-Rot-Grün frühzeitig vorzubereiten. Die Machtoptionen der Union sind nun deutlich besser.

Ein Selbstläufer wäre „Jamaika“ im Bund nicht. In Kiel gelang die schnelle Einigung auch deshalb, weil sich die Spitzenleute der drei Parteien kennen und schätzen; eine solche Vertrauensbasis besteht auf Bundesebene nicht. Und mit der CSU käme auf Unionsseite ein Partner dazu, mit dem Grüne – und Liberale – größere Schwierigkeiten hätten. Von Asyl über innere Sicherheit bis zu Steuern und Sozialpolitik liegen die Positionen der potenziellen Partner weit auseinander. Unmöglich wäre eine Verständigung nicht. Das Risiko für die Grünen, in dieser Koalition mit Schwarz-Gelb in der Beliebigkeitsfalle zu landen, ist aber beträchtlich. Die Kanzlerin müsste den Grünen in einem solchen Bündnis also viel bieten. Aber an Signalen fehlt es nicht: Wäre es nach Angela Merkel gegangen, hätten Union und Grüne im Februar schon einen gemeinsamen Bundespräsidenten-Kandidaten gekürt. Glaube niemand, die CDU-Chefin wäre nicht vorbereitet.