Teure sportliche Fehleinschätzungen und erbärmlicher Fußball – dem HSV fehlt es an Grundtugenden, findet Dieter Matz.

Spätestens seit der gerade abgelaufenen Fußball-Bundesligasaison ist der Beweis erbracht: Es gibt ihn wirklich. Und in den Vorstellungen vieler Deutscher trägt er während seiner Dienstzeit blaue Stutzen, ein weißes Hemd mit Raute und eine rote Turnhose. Bei dem erbärmlichen Fußball, der seit Jahren im Volkspark dargeboten wird, ist auch er machtlos, aber am Ende konnte sich der HSV immer hundertprozentig auf den Fußballgott verlassen. Der letzte Beweis liegt nun einige Wochen zurück: Drei Schüsse aufs Wolfsburger Tor, zwei Tore.

Sportlich hilft der liebe Gott, und das nötige Geld kommt von Kühne.

Die Frage aber, die sich nach dieser erneuten Horrorsaison ergibt, ist die: Was passiert, wenn einer der Nichtabstiegs-Garanten seinen Dienst quittiert? Ja, was dann? Dann müsste dieser HSV, der seit Urzeiten einen Umbruch nach dem anderen ankündigt, tatsächlich wie ein Proficlub und nicht auf dem Niveau eines Kaninchenzüchtervereins geführt werden. Wobei natürlich ein Kaninchenzüchterverein nicht so mit (fremden) Millionen um sich werfen kann, wie es bei den Hamburgern längst Tradition geworden ist. Mindestens genauso schlimm sind die vielen sportlichen Fehleinschätzungen.

Dass sich Kerem Demirbay seit dieser Woche mit dem Titel deutscher Nationalspieler schmücken darf, ist schön für ihn – kommt aber einer Bankrotterklärung für den HSV gleich. Nach Hoffenheim wurde er vergangenes Jahr verscherbelt, weil niemand in der HSV-Führung das große Talent des Deutsch-Türken erkannt hat. Unfassbar!

Diaz zu gut fürs Team?

Oder Marcelo Diaz, der zu Celta Vigo nach Spanien wechselte. Beim HSV, so die lächerliche Begründung, war „er zu gut fürs Team“. Und noch ein Beispiel: Tomas Rincon. Der große Kämpfer spielte für Juventus Turin im italienischen Pokalfinale gegen Lazio Rom (2:0) 90 Minuten durch, hatte Einsätze in der Champions League. Sein Marktwert liegt bei acht Millionen Euro. Und überspitzt formuliert: Talente wie Jonathan Tah, Heung-Min Son und Hakan Calhanoglu wurden veräußert, um sich teure Fehlgriffe leisten zu können.

Reporter-Legende Dieter Matz berichtete mehr als drei Jahrzehnte über den HSV
Reporter-Legende Dieter Matz berichtete mehr als drei Jahrzehnte über den HSV © HA | Andreas Laible

Das sind nur ein paar wenige Namen aus einer langen, langen Liste. Die für die Unfähigkeit des HSV stehen, gute von schlechten Fußballern zu unterscheiden.

Da wurden in der Saison die Brasilianer Douglas Santos und Walace für einen zweistelligen Millionen-Betrag gekauft. Und sitzen auf Bank oder Tribüne. „Die kommen noch“, hieß es vom HSV im Frühjahr immer. Mag ja sein. Aber welcher „Experte“ hat da mit der Zukunft des HSV gespielt? Der HSV hätte Soforthilfe benötigt, aber niemals Spieler, die erst dann „noch kommen“, wenn alles zu spät ist. Wahnsinn.

Mathenia hat mit seiner Ansage Recht

Mir ist bis heute ein Satz von HSV-Torwart Christian Mathenia hängengeblieben, der nach dem Wolfsburg-Spiel gesagt hat: „Wir haben unser letztes Hemd gegeben – auch wenn es nicht schön anzusehen war. Ich glaube, auch da müssen wir neue Ansätze finden.“ Wie wahr. Früher versuchte sich der HSV fußballerisch mit dem System „Quer, quer, quer – und zurück zum Torwart“. Jetzt wird der Ball malträtiert, indem er 80 Meter Richtung Strafraum des Gegners gedroschen wird. Lang und weit nach vorne, und da hilft dann der liebe Gott? Was soll er denn noch alles machen?

Es gäbe so viele Dinge, die verbessert werden müssen. Standards zum Beispiel könnte man intensiv üben, damit nicht 90 Prozent der Bälle sofort beim Gegner landen.

Und dann dies: In Hamburg werden alle Spieler stets schlechter. Ein Versuch der Erklärung: Ende der Saison zeigte der NDR Bilder vom Training. Zu sehen war ein Spielchen. Trainer Markus Gisdol sah dem Treiben zu, im Hintergrund standen die vielen Co-Trainer am Golf-Car und unterhielten sich. Symptomatisch für den HSV. Däumchen drehen für den Erfolg. Wie wäre es zur Abwechslung mit Einzeltraining? Zum Beispiel Flankenübungen für Dennis Diekmeier?

Oh, du lieber Fußballgott, lasse bitte, bitte während dieser Sommerpause eine Prise mehr an Fußball-Weisheit über den Volkspark herniederprasseln. Es wäre an der Zeit.