Demokratieprobe an der Förde: Landtag übt neue Blickwinkel und neue Koalitionen

Der schleswig-holsteinische Landtag hat das große Stühlerücken schon hinter sich. Es ist eine komplizierte Aktion, denn jeder Abgeordnetentisch ist ein Unikat und lässt sich nicht an jeder beliebigen Stelle der vier konzentrisch angeordneten Reihen einpassen. Wie und wo werden die mutmaßlichen „Jamaika“-Koalitionäre zusammengeführt? Gestern war das Ergebnis der Arbeit im immer wieder beeindruckenden Sitzungssaal an der Förde zu beobachten: Neue Plätze für fast alle Abgeordnete - und damit auch ein neuer Blick auf die Regierungsbank, aufs Rednerpult und auf die Kollegen der anderen Fraktionen.

Schleswig-Holsteins Politiker täten gut daran, diese neuen Blickwinkel zu nutzen, um zu neuen Eindrücken, zu neuen Erkenntnissen und zu geänderten Verhaltensweisen zu gelangen. Denn das Ergebnis der Landtagswahl vom 7. Mai stellt sowohl das Parlament als auch die Regierung in gleich mehrfacher Hinsicht auf die Probe.

Zunächst ist da der Umgang mit der AfD. Sie ist neu im Landtag – und sie ist damit groß geworden, die anderen Parteien in Bausch und Bogen zu verurteilen und die Parlamentsarbeit zu diskreditieren.

Wie damit umgehen? Attacke von der ersten Minute an? Wenn man den Satz des Alterspräsidenten Wolfgang Kubicki von der ­Toleranz und dem Respekt vor dem Andersdenkenden ernst nehmen will, dann müsste der Weg zumindest zunächst ein anderer sein. Kontakt aufnehmen, Gesprächsfäden knüpfen, Gemeinsamkeiten suchen – so schwer es auch fällt. Vielleicht ist es ja doch möglich, aus der AfD eine zwar rechtsaußen positionierte, aber dennoch einigermaßen politikfähige Vertreterin der parlamentarischen Demokratie zu machen.

Dabei könnte hilfreich sein, dass das Wahlergebnis auch die AfD auf die Probe stellt. Was will die Partei im Landtag? Will sie in quasi anarchistischer Weise das System von innen heraus bloßstellen und lahmlegen? Oder will sie stattdessen versuchen, auf ihre Weise dazu beizutragen, dass Schleswig-Holsteins Probleme benannt und gelöst werden?

Konstruktive Parlamentsarbeit kann verführerisch sein, kann einen Sog entfalten. Die Frage ist, wer wen infiziert. Die AfD das Parlament – oder das Parlament die AfD? Ausgang vorerst offen.

Bei der weitaus größten Probe, die das Wahlergebnis mit sich brachte, scheint der Ausgang nicht mehr ganz so offen zu sein. Ist „Jamaika“ möglich?, fragten sich viele am Wahlabend. Können drei Parteien, die nicht allzu viel gemeinsam haben und vor allem keine gemeinsame Koalitionserfahrung teilen, eine Regierung bilden? Es geht um eine Probe der Flexibilität unseres politischen Systems. Und es scheint, dass sie bestanden wird.

Für CDU, Grüne und FDP besteht gerade jeder Tag aus neuen Wahrnehmungen, geänderten Blickwinkeln und überraschenden Erkenntnissen. Die CDU lernt, dass die Grünen mehr aufs Geld gucken als mancher CDU-Finanzminister in alten Zeiten. Die FDP lernt, dass die Grünen auch beim Autobahnbau mitspielen können. Und die Grünen lernen, dass es die CDU durchaus hinbekommt, für eine bessere Kinderbetreuung einzustehen.

Ob das fünf Jahre trägt? Schwer zu sagen. Aber eines ist klar: Wenn drei Parteien, die eben noch in unterschiedlichen politischen Lagern saßen, mit ihren Stühlen zusammenrücken und eine tatkräftige Regierung bilden, dann hat die Demokratie gewonnen.