„Ich sehe, nichts ist ohne Rücksicht gut.“ Als der englische Dichter William Shakespeare Ende des 16. Jahrhunderts diesen Satz niederschrieb, hatte er Hamburgs Verkehrsteilnehmer nicht im Blick. Nichtsdestotrotz hat die Botschaft die Zeit überdauert, ja mehr noch: Sie ist aktueller denn je.
Wer täglich auf den Straßen der Hansestadt unterwegs ist, erlebt oft, wie gegen den Paragrafen 1 der Straßenverkehrsordnung, „Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht“, verstoßen wird – und zwar von jeder Art Verkehrsteilnehmer.
Das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme beschränkt sich zudem nicht auf aktive Verkehrsteilnehmer. Auch die Anwohner einer Straße gehören dazu. Einerseits profitieren sie von der leichten Erreichbarkeit ihrer Wohnung, andererseits leiden sie unter Verkehrslärm und schlechter Luft.
Es entbehrt daher nicht einer gewissen Logik, dass Umweltverbände vermehrt die Straßenverkehrsordnung nutzen, flächendeckend in Hamburg Tempo 30 durchzusetzen. Neben der Aufforderung zur Rücksichtnahme gibt das Regelwerk den Behörden Mittel in die Hand, den Verkehr zu beschränken.
Diese Möglichkeiten werden in Hamburg allerdings bereits reichlich genutzt. In vielen Wohngebieten gilt Tempo 30. Vor Schulen und Kitas warnen Verkehrsschilder ebenso wie vor Altenheimen und Kliniken. Selbst auf einigen Abschnitten stark frequentierter Hauptstraßen sorgen Beschränkungen für weniger Lärm und Abgase.
Das Gebot der Rücksichtnahme
Das mag manchem nicht reichen, und es bleibt eine Aufgabe der Behörden, die Verkehrsführung regelmäßig im Lichte neuer Gesetze und neuer Erkenntnisse zu überprüfen. Das wird im Übrigen getan. Der milliardenschwere Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs stellt das unter Beweis.
Das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme gilt auch für jene, die dem Auto den Kampf angesagt haben. Bei allen Beschränkungen: Es muss möglich sein, dass Bewohner dieser Metropole mit dem Fahrzeug von A nach B kommen. Eine funktionsfähige Verkehrsinfrastruktur ist die Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum einer Stadt und den daraus resultierenden Wohlstand ihrer Bewohner.
Zudem zeichnet sich moderne Stadtentwicklung durch das Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe ab. Die Trennung in „Schlafstädte“ und Gewerbegebiete war ein Irrweg – nicht zuletzt, weil Verkehr dadurch erst erzeugt wurde. Allerdings erfordern auch gemischte Stadtviertel ein Mindestmaß an Wirtschafts- und Individualverkehr.
Die Bauwirtschaft hat sich darauf längst eingestellt. Moderne Gebäude sind heute so umfangreich isoliert, dass sie problemlos unmittelbar an einer lauten Kreuzung stehen können und in einer Wohnung von dem Verkehrslärm kaum etwas zu hören ist. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz sieht deshalb zu Recht vermehrt an Straßen Potenzial für Wohnungsbau.
Wer Tempo 30 flächendeckend festschreiben will, lenkt – ob gewollt oder nicht – ferner von einem grundsätzlichen Problem ab: der mangelnden Kontrolldichte. Raser auf städtischen Straßen, Fahrer von lärmenden Autos, Fahrradwege zuparkende Lieferwagen – all das gäbe es viel seltener, wenn Polizisten nur konsequenter auf die Einhaltung der Regeln pochen würden.
Und zu guter Letzt: Wer in einer quirligen, urbanen Metropole leben will, der darf sich nicht darüber beklagen, dass in ihr nicht so eine Ruhe wie in einem Naturschutzgebiet herrscht.