Man muss das Treffen in Hamburg nicht mögen. Aber man sollte zur Abwechslung auch mal die Chancen sehen

Wer jemals der Meinung anhing, Hamburg sei eine moderne, weltoffene Stadt, der wurde in den vergangenen Wochen eines Besseren belehrt. In einer sich von Tag zu Tag steigernden Hysterie streiten, nölen, schimpfen viele Hamburger über den G20-Gipfel. Inzwischen möchte man meinen, im Juli kämen der Teufel, Beelzebub, Gottseibeiuns und Darth Vader persönlich auf Einladung der Muhme Rumpumpel zum Schurkentreffen nach Hamburg.

In einem Crescendo wild gewordener Medien, durchgeknallter Linksautonomer und aufrüstungsbereiter Sicherheitskräfte geht da einiges durcheinander – und der Eindruck verfestigt sich, als wolle man sich stets missverstehen. Einige Aktivisten erweckten den Eindruck, der US-Präsident werde mit seiner Limousine „Beast“ Demonstranten jagen und der Bezirk Mitte Hunderte Obdachlose vertreiben. Zugleich machen einige jeden Widerständler zum Chaoten. Die Empörungsbereitschaft nimmt seltsame Züge an: Der G20-Gipfel ist längst der Donald Trump unter den Großveranstaltungen – er gilt als eine Gefahr für die Menschen, man traut ihm alles zu und möchte ihn auch nach der Entscheidung noch verhindern. Besonders grotesk mutet da die Volkspetition von Studentenvertretern und der unvermeidlichen GEW an, den Gipfel noch kurzfristig abzusagen.

Da lasen sich zwei Erklärungen dieser Tage erfreulich anders: Der CDU-Wirtschaftsrat lobte den G20-Gipfel als einen „Glücksfall für Hamburg“. „Das Tor zur Welt zu sein gehört zum Selbstverständnis Hamburgs. In diesem Sinne ist es unsere Pflicht, diesem wichtigen weltpolitischen Forum bestmögliche Gastfreundschaft zu gewähren“, erklärt der Landesvorsitzende Henneke Lütgerath. Das war eigentlich eine Binse – klang aber sensationell anders.

Fast zeitgleich meldeten sich von der anderen Seite G20-Aktivist/innen aus dem Ausland zu Wort: „Wir werden die Stadt und ihre Aktivitäten respektieren, weil wir uns wirklich freuen, nach Hamburg zu kommen. Wir freuen uns auf eure Kieze mit solch einer lebendigen Kultur, einem starken Sinn für Freiheit und Solidarität, mit solch einer wichtigen Geschichte von Kämpfen für soziale, ökologische, ökonomische und bürgerliche Rechte für alle. Und wir hoffen, dass wir uns auf der Straße treffen und uns gegenseitig kennenlernen!“ Gerne! Wie spannend kann ein Gipfel sein, der die großen Weltfragen diskutiert? Oder bei dem eben nicht alle die gleiche Meinung haben.

In dem offenen Brief der Aktivisten gab es neben den üblichen Kampfansagen („Sie wollen Kapitalismus ohne Demokratie: Wir wollen Demokratie ohne Kapitalismus“) interessante Inhalte. Da wurde argumentiert, diskutiert, dargelegt. Endlich geht es in Hamburg nicht nur um die Frage, wie viele Scheiben zersplittern und wie lang die Staus werden, sondern was diese Welt zusammenhält. Aus der sozialen Bewegung kamen stets wichtige Anstöße, vom Umwelt- und Klimaschutz bis hin zur Spekulationssteuer für Finanztransaktionen.

Ein solches Treffen kann nicht per se schlecht sein. Miteinander zu reden hilft den Aktivisten beim Gegengipfel genauso wie den Herren Trump und Putin, die übrigens in Hamburg zum ersten Mal aufeinandertreffen. Das Zauberwort heißt Dialog in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist. Wer gegen Dialog ist, muss sich fragen, wofür er eigentlich ist.

Natürlich ist vieles an der Kritik berechtigt, die den G20-Teilnehmern entgegenschlägt – die Politik der Herren Erdogan, Putin, Trump empört viele Hamburger, aber diese Staatschefs sind demokratisch gewählt. Zugleich bekommt die Kritik eine Bühne, die sie sonst niemals bekäme. Wenn der brasilianische Präsident Temer anreist, wird etwa sein skandalöser Umgang mit den indigenen Völkern zum Thema.

Die deutsche Delegation hat Themen auf die Agenda gehoben, die eigentlich die Herzen vieler Attac-Demons­tranten höher schlagen lassen müssten. Wer dagegen mit Gewalt opponiert, ist ein Idiot. Jede Straßenschlacht, jedes brennende Auto wäre ein Sieg für „starke Männer“ wie Putin oder Erdogan. Ein gelungener Gipfel in einem toleranten und weltoffenen Hamburg hingegen ein beeindruckendes Symbol einer lebendigen Demokratie.