Der Einwohnerrekord in der Hansestadt ist Herausforderung und Chance zugleich

Keine Frage, Hamburg boomt wie selten zuvor. Von den Anmeldezahlen für Kitas, Schulen und Unis über die Nutzerzahlen für Busse und Bahnen bis hin zu den Besucherzahlen in Fußballstadien und in der Elbphilharmonie – allenthalben Rekorde, ausverkauft und „noch nie so viel wie ...“.

Nun gibt es eine neue Zahl, die belegt, was wir ohnehin alle täglich beobachten: In der Hansestadt sind so viele Menschen gemeldet wie nie zuvor: 1,86 Millionen, knapp 300.000 mehr als 1986 – das ist in etwa so, als wäre ganz Kiel samt Umland nach Hamburg umgezogen.

Fluch oder Segen? Weder noch. Es ist eine enorme Herausforderung und zugleich eine riesige Chance.

Dass die Menschen in Scharen nach Hamburg ziehen, ist zunächst einmal eine gute Nachricht, denn es belegt in vielerlei Hinsicht die Anziehungskraft der Stadt. Auch wer die nervige „Schönste Stadt der Welt“-Dauerschleife nicht mitsingen mag, darf dennoch ein wenig stolz auf die Attraktivität seines Wohnortes sein. Es belegt auch, dass die 2001 von Wolfgang Peiner und Ole von Beust initiierte und von allen Nachfolgern beibehaltene Strategie, Hamburg als „Wachsende Stadt“ zu positionieren, aufgegangen ist. Die Menschen haben schlicht mit den Füßen abgestimmt, und das Ergebnis ist eindeutig: Hamburg wächst, und zwar unabhängig von der Zuwanderung durch Flüchtlinge, die nur etwa ein Drittel des Wachstums ausmacht.

Zwei Vorteile liegen auf der Hand: Jeder Einwohner mehr beschert der Stadt auch mehr Einnahmen – direkt über Steuern und Abgaben und indirekt über den Länderfinanzausgleich, der unter anderem nach Einwohnerzahl berechnet wird. Zweitens können sich viele Dienstleister und Handwerker vor Aufträgen kaum retten – das sichert Jobs und schafft neue.

Doch da fangen die Herausforderungen schon an: Einen Handwerker zu bekommen ist in Hamburg manchmal ein Glücksspiel, der mächtig angekurbelte Wohnungsbau saugt fast alles auf. Hier liegt auch die zentrale Herausforderung des Wachstums: 10.000 neue Wohnungen entstehen derzeit pro Jahr, und das reicht immer noch nicht, denn die Nachfrage ist noch größer. Das betrifft Einheimische wie neu Hinzuziehende gleichermaßen.

Steigende Mieten, Verdrängung, Gentrifizierung – die negativen Folgen sind bestens bekannt. Senat, Bürgerschaft und Bezirke tun zwar bereits einiges dagegen, sie sorgen für neue Wohnungen, stellen ganze Viertel unter Milieuschutz und haben eine Mietpreisbremse erlassen – freilich mit überschaubarer Wirkung. Doch das wird nicht ausreichen. Solange die Bevölkerungszahl schneller wächst als der Wohnungsmarkt, behält das Thema Sprengkraft. Die Akzeptanz des Wachstums, die unmittelbar davon abhängt, dass jeder Bürger eine bezahlbare Wohnung findet, steht zumindest auf wackeligen Füßen.

Das gilt auch für andere Bereiche: Allmorgendliche Staus auf den Straßen und Zustände in S- und U-Bahnen, die mitunter an Tokio erinnern, haben nicht immer, aber eben auch etwas mit steigender Bevölkerungszahl zu tun. Die Instandhaltung der Straßen, der Ausbau des ÖPNV und des Radwegenetzes sind daher ebenso unerlässlich, um die Hamburger auf dem Weg der wachsenden Stadt mitzunehmen. Auch hier gilt: Der Senat tut schon viel, aber es ist noch Luft nach oben.

Wachstum an sich ist kein Wert, „ausverkauft“ nur gut für die, die drinnen sind. Es kann aber zu einem Wert werden, wenn alle daran teilhaben oder zumindest niemand abgehängt wird. Das ist in einer Stadt, in der Arm und Reich dramatisch auseinanderklaffen, eine enorme Herausforderung. Aber eben auch eine große Chance.