Die vielen Großveranstaltungen mögen Touristen erfreuen. Aber wo ist die versprochene „Bürgerverträglichkeit“?
Tourismus ist für Hamburg wichtig, aber auch eine Bürde. Vor allem die Bewohner des Bezirks Mitte ächzen unter den vielen Großveranstaltungen. Schlagermove, Hafengeburtstag, Alstervergnügen, Reeperbahn Festival, Duckstein Festival, CSD, Dom, Harley Days, Motorradgottesdienst, Marathon, Halbmarathon, Massenlauf, Radrennen plus Weihnachtsmärkte und Public Viewing – alles muss ja unbedingt in der Nähe von Alster, City, Hafen oder Reeperbahn stattfinden. Weil sich hier die „Premiumflächen“ ballen, wie es im Marketing-Deutsch so schön heißt. Seit Jahren sind Großevents ein Dauerthema. Passiert ist nicht viel. Stattdessen jubeln Hamburg Tourismus (HHT) und Hamburg Marketing GmbH: Hamburg plant 36.000 neue Hotelbetten! Zu den Cruise Days 2017 kommen „so viele Kreuzfahrtschiffe wie noch nie“!
Umso erstaunter las ich jetzt, dass Hamburg-Tourismus-Chef Michael Otremba offenbar plötzlich ein Herz für Anwohner hat. Man müsse mit dem Thema Großevents „sehr sensibel umgehen“ und „auch die Bedürfnisse der Hamburger im Blick behalten“, sagte er. Es darf ja nicht so weit kommen, dass die Hamburger ihre Besucher nur noch anmuffeln oder mit hingeschlampten Michelfiguren abwimmeln („Barcelona-Effekt“). Aus der Wirtschaftsbehörde kam allerdings umgehend Kontra: Einen Barcelona-Effekt sollte man „nicht herbeireden“, meinte Staatsrat Andreas Rieckhof (SPD). Sonst bleiben noch ein paar Touristen weg ...
Manche Debatten stecken in einer Endlosschleife fest. Schon 2014 beschloss die rot-grüne Koalition in Mitte, der Event-Schwemme einen Riegel vorzuschieben: Veranstalter sollten sich vorab einer Anhörung im City-Ausschuss stellen. Gleich im Fall des Schlagermoves endete das wie beim Hornberger Schießen: Noch während die Hossa-Hossa GmbH dem Ausschuss Rede und Antwort stand, wurden schon munter Tickets verkauft. Denn die Genehmigungen waren längst erteilt worden – von der Polizei (für die Truck-Parade), von der Wirtschaftsbehörde (zuständig für das Heiligengeistfeld als „private“ Fläche), von der Bauprüfabteilung (für die Showzelte). „Das Einzige, was wir in Mitte noch beeinflussen dürfen, ist die Zahl der Dixi-Klos“, sagte eine Abgeordnete resigniert. Ähnlich verliefen die Anhörungen für Hafengeburtstag und Harley Days; die wurden zwar auf den Großmarkt verlegt, aber 70.000 Biker und 25.000 Motorräder dürfen sich immer noch auf dem Spielbudenplatz präsentieren.
Es gäbe längst Möglichkeiten, Großveranstaltungen zu reduzieren – oder zumindest mehr bürgerfreundliche Auflagen zu erteilen. Der 2009 gegründete „Eventausschuss“, in dem neben Innen-, Stadtentwicklungs-, Kultur- und Wirtschaftsbehörde auch die Bürgerschafts- und Senatskanzlei, Handelskammer und Hamburg Marketing GmbH sowie zwei Bezirksämter vertreten sind, spricht Empfehlungen aus. Nach der Katastrophe der Love Parade in Duisburg 2010 gibt es keine zentralen Genehmigungen für Großveranstaltungen mehr, stattdessen sind „diverse Stellen einbezogen“, sagt Mitte-Bezirkschef Falko Droßmann. Auf Duisburg reagierte Hamburg mit der Schnittstelle „Eventlotse“, die Veranstalter zuvorkommend an die richtigen Ämter weiterleitet. Koordiniert wird das Portal vom Hamburg Convention Bureau, einer 100-prozentigen Tochter der Hamburg Marketing GmbH. Klingt super.
Die Instrumente, um Events sozialverträglicher zu gestalten, hätte Hamburg also durchaus. Bisher kam allerdings nicht einmal ein zentrales Bürger-Beschwerde-Telefon dabei heraus. Kann es sein, dass sich der Vorsatz „mehr Bürgerverträglichkeit“ im Behörden-Genehmigungs-Dschungel völlig verflüchtigt? Und dass stattdessen der Grundsatz „Wo winkt der nächste Touristenrekord“ weiterregiert?
Da klingt ein Vorschlag aus der Bezirksversammlung Mitte doch ganz bedenkenswert: Warum kein Moratorium, das die Zahl der Events für einen bestimmten Zeitraum einfriert? Für jedes neue müsste ein anderes mal aussetzen. Einen Testlauf wäre das Modell doch wert. Oder will sich die Stadt in Sachen Bürgerfreundlichkeit weiterhin selbst ein Bein stellen?