Die Stadt muss Hilfsangebote machen, aber auch Grenzen setzen – wie im Bezirk Mitte.

Nirgends in Hamburg ist die Kluft zwischen Arm und Reich so sichtbar, das Elend deshalb auch so präsent wie hier: In den Nischen von Mönckebergstraße oder Jungfernstieg, vor Haus- und Geschäftstüren, in Garagenzufahrten, vor Schaufenstern und in den Eingängen für die Angestellten liegen sie Nacht für Nacht – die Gestrandeten und Abgekoppelten. Einen kümmerlichen Rest an Privatsphäre haben sie sich hier erobert auf ihren Matratzen oder Isomatten, das bisschen Hab und Gut zu ihren Füßen versteckt. Keiner der immer zahlreicher werdenden Obdachlosen in der Hamburger City – stadtweit wird ihre Zahl inzwischen auf mehr als 2000 geschätzt – dürfte freiwillig und gern so leben. Hamburg hat die Pflicht, diesen Menschen zu helfen und würdevoll mit ihnen umzugehen.

Diese Verantwortung nimmt die Stadt auch an. Die Hilfsangebote sind umfangreich. Knapp 1000 Schlafplätze gibt es im Winternotprogramm, darüber hinaus kümmern sich Helfer in Tagesstätten, Suppenküchen und Kleiderkammern um Obdachlose, Sozialarbeiter von Kirche und Staat sind auch dann noch auf der Straße unterwegs, wenn die üblichen Büroangestellten längst zu Hause sind. Dieses breite Angebot ist ein Segen – und ein Fluch zugleich. Denn es zieht automatisch neue Hilfssuchende an. Wer zu Hause ein Leben in Not und ohne jede Perspektive fristet, dem kann sogar Obdachlosigkeit in Hamburg noch als Verbesserung der eigenen Lebenssituation erscheinen. Zumal viele dieser Elends-Zuwanderer nicht kommen mit dem Ziel zu betteln, sondern die Hoffnung haben, sich hier zumindest als Tagelöhner verdingen zu können.

Rund 60 Prozent der Obdachlosen, die im vergangenen Winter in Hamburg Hilfe gesucht haben, kamen aus Ost- und Südeuropa, überwiegend aus Rumänien, Bulgarien und Polen. Kenner schätzen, dass rund 30 Prozent aus afrikanischen Ländern stammen und etwa zehn Prozent aus Deutschland.

Die Zahlen zeigen das Dilemma: Die Mehrheit der Obdachlosen sind EU-Bürger, die von der Arbeitnehmerfreizügigkeit profitieren, aber eben auch keinen Anspruch haben auf Sozialleistungen. Weshalb Hamburg inzwischen gezielt versucht, diese Obdachlosen zur Heimreise zu bewegen – sicher auch mit der Hoffnung, dass ein solcher Schritt Signal- statt Sogwirkung haben wird auf Osteuropäer, die sich in ihrer Heimat startklar machen.

Hilfsangebote auf der einen Seite, klare Signale auf der anderen: Beides gehört dazu, wenn man die humanitäre Verpflichtung und korrektes Verwaltungshandeln ernst nimmt. Verantwortung zu übernehmen heißt für die Stadt auch, einen Interessenausgleich zu gewährleisten. Hilfsbereit und tolerant zu sein bedeutet nicht, jede Belästigung hinnehmen zu müssen. Es gibt kein Recht auf aggressives Betteln. Es gibt kein Recht, seinen Dreck oder seine Notdurft dort zu hinterlassen, wo es einem gerade passt. Man muss nicht Kant bemühen, um zu wissen, dass Freiheit auch Grenzen hat.

Der Bezirk Hamburg-Mitte, wo wie sonst nirgendwo das Elend der Großstadt jeden Tag zu beobachten ist, geht nach massiven Beschwerden die Pro­bleme an. Plätze oder Hauseingänge, die als Abort missbraucht werden, werden morgens so gesäubert, dass Angestellte oder Kunden sie ohne Ekel betreten können. Auch werden beispielsweise illegale Campingplätze in Parks nicht mehr toleriert. Es geht nicht darum, neue Zäune zu ziehen. Es geht nicht um Vertreibung. Es geht darum, Grenzen zu setzen – und das ist gut so.