Die eigenen Fans scheinen zum großen Trumpf des Dinos im Abstiegskampf zu werden. Ein offener Brief und seine Geschichte.

Leon Heinemann war auch am Tag nach dem Pokalspiel des HSV gegen Mönchengladbach noch völlig aus dem Häuschen. Natürlich trauerte der 19 Jahre alte Fan der verpassten Chance, ins DFB-Pokal-Halbfinale einzuziehen, hinterher. Aber noch viel mehr freute sich der Bielefelder über das, was er vor, während und nach der Partie ausgelöst hatte. Oder besser: was sein eine DIN-A4-Seite langer Brief ausgelöst hatte.

„Liebe Spieler, Trainer und Betreuer unseres HSV, wir Fans haben uns ein Herz gefasst und wollen einige Zeilen an Euch richten.“ So beginnt Leons offener Brief, den der BWL-Student am Tag nach dem schmerzhaften 0:8 in München verfasst hatte. Sechs Absätze, 48 Zeilen, 545 Wörter. Doch wer dachte, dass sich da mal jemand den ganzen Frust von der Seele schreiben musste, der wurde getäuscht. „Denn eines ist ganz sicher: Unsere Unterstützung wird niemals abreißen. Wir glauben an Euch. Macht uns stolz, wie nur Ihr es könnt!“ Mit diesen pathetischen Worten endet der emotionale Brief, der die unkaputtbare Verbindung zwischen Fans und Mannschaft so klar umreißt, wie kein Torjubel oder keine Autogrammstunde es jemals könnte.

Die Bedeutung der Fans war schon oft ein Thema an dieser Stelle. Mal wurde über die mutmaßlich zunehmende Gewalt diskutiert, mal über unflätige Plakate oder den dummdreisten Umgang mit Pyrotechnik und mal über die Gefahr, die eigenen Anhänger durch das eine 0:8 zu viel zu verlieren. Münchens Nationalspieler Mats Hummels hatte gerade erst in der „Sport Bild“ über ein zunehmend problematisches Verhältnis zwischen Fans und Spielern geklagt: „Ich finde ganz generell, dass der Umgang mit den Spielern in den vergangenen neun, zehn Jahren immer respektloser geworden ist“, sagte Hummels.

Das alles: richtig. Das alles: pro­bl­ema­tisch. Doch dann: dieser Brief. „Ich hatte einfach Angst, dass nach diesem 0:8 von München nun wieder alles aus­einanderbricht“, erklärt Leon, warum er sich nach dem Debakel gegen die Bayern an den Schreibtisch setzte. Und schrieb: „Bringt einfach nur das auf den Platz, was Ihr von Euch selbst erwartet und was uns alle verbindet: die Leidenschaft und die Liebe für den Fußball, für unser aller Team.“

Es sind einfache Worte, die Leon benutzte. Doch die Worte wurden gelesen, gehört, gespeichert. Zunächst bei Facebook, wo fast 24.000 Menschen Leons Seite „Mein Herz gehört dem HSV“ geliked haben. Dann im restlichen Internet. In den konservativen Medien. Und schließlich vom HSV selbst.

Sportchef Jens Todt erfuhr als erster HSV-Verantwortlicher von der Aktion. Gemeinsam mit Trainer Markus Gisdol entschied er, den Brief am Spieltag vor dem Mittagessen den Profis vorzulesen. „Ihr als Team sollt wissen, dass uns das alles egal ist, solange wir Euch kämpfen sehen“, las also Todt vor. „Solange wir wissen, dass auch Ihr Euer Bestes gebt.“

Und die Spieler gaben am Abend ihr Bestes. „Der Brief hat uns allen ein richtig gutes Gefühl gegeben“, sagte Todt am Morgen danach. „Der Tonfall war sehr gelungen und hat alle angesprochen.“

Die Geschichte des Briefs klingt beeindruckend, aber auch ein wenig schnulzig, fast schon ein bisschen kitschig. Für Hollywood fehlte eigentlich nur noch eines: ein Happy End.

Nun wurde bekanntermaßen das Spiel eins nach Bayern verloren, ein vorläufiges Happy End gab es aber trotzdem. „Ich hatte Gänsehaut, als ich sah, wie die Spieler nach dem Schlusspfiff trotz der Niederlage von den Fans gefeiert wurden“, sagt Leon.

Die Geschichte könnte an dieser Stelle endgültig vorbei sein. Ist sie aber noch immer nicht. Denn die Saison ist noch lang, die Geduld der HSV-Fans dürfte erneut arg strapaziert werden. „Wir werden Euch niemals hängen oder im Stich lassen“, steht in dem Brief.

Das letzte Kapitel muss allerdings noch geschrieben werden. Nicht von Leon. Sondern von den Spielern, vom Trainer, von den Verantwortlichen des HSV. Viele Worte werden sie nicht brauchen. Eher viele Tore, gute Ergebnisse und vielleicht ein einziges Wort ganz zum Schluss: gerettet.