Das gestiegene Risiko ist ein Grund zum Handeln, aber nicht zur Panikmache
Fast ist es schon Routine: Einmal im Jahr legen Sozialverbände einen Armutsbericht vor und erzeugen kurzzeitig eine gewisse Aufregung. Und danach: passiert wenig. Oder nichts. Ob es diesmal anders läuft? Gut wäre es. Denn der neue Bericht verweist auf beunruhigende Fakten: Trotz der guten wirtschaftlichen Entwicklung nimmt der Anteil der Menschen, die in Deutschland von Armut zumindest bedroht sind, nicht ab, sondern wieder leicht zu – fast jeder Sechste ist betroffen.
Schade nur, dass die Sozialverbände mit dem ungebremsten Hang zur Skandalisierung ihrem Anliegen einen Bärendienst erweisen. Wer so kühn etwa ein „Armutsrisiko“ zur tatsächlichen „Armut“ umdeutet, macht es den Kritikern leicht. Die Statistik hat ihre Tücken, da ist die schrille Tonart deplatziert: Gemessen werden nicht Not und Entbehrung, sondern das Ausmaß der Einkommensspreizung in der Gesellschaft.
Dennoch wäre es falsch, den entscheidenden Trend zu ignorieren: Die Zahl derjenigen, die Gefahr laufen, materiell von der Lebensweise der Gesellschaft ausgegrenzt zu werden, wächst. Ein Patentrezept dagegen gibt es nicht. Gefragt ist die Bekämpfung von Ursachen, nicht das Herumdoktern an Symptomen. Hat die Politik da genug getan?
Eher nicht, wenn man die wichtigsten Gruppen der Betroffenen betrachtet: Alleinerziehende etwa werden noch immer zu wenig unterstützt, die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit wird halbherzig betrieben. Und die Rentner? Wenn die Politik nicht bald gegensteuert, droht Altersarmut auf breiter Front. Noch allerdings kann davon, anders als der Bericht suggeriert, keine Rede sein. Nicht nur hier gilt: Wer Armut bekämpfen will, braucht eine klare Analyse, einen kühlen Kopf und langen Atem – Panikmache schadet nur.