„Unter dem Sand“ wird für den Oscar nominiert, und keinem fällt es auf – wie der Film des Jahres ignoriert wird.

Der Geschmack der Kritiker entscheidet nicht zwangsläufig über Erfolg oder Misserfolg eines Buches, einer Schallplatte, einer Theaterinszenierung oder eines Kinofilms. Manchmal verschreckt die Massen sogar, was dem Feuilleton besonders gefällt – und umgekehrt. Das ist schade. So verpassen zu viele zu vieles.

Vielleicht haben ja auch viele Leser mit den Schultern gezuckt, als gleich drei Abendblatt-Redakteure – darunter der Autor dieser Zeilen – auf der traditionellen Geschenketipp-Seite kurz vor Weihnachten denselben Film empfahlen: das dänische Drama „Unter dem Sand“. Damit kam der Film des Regisseurs Martin Zandvilet auf eine Empfehlungsquote von 20 Prozent. Beim Rest der Deutschen war der Film nicht ganz so erfolgreich. Hierzulande sahen nur 0,0164 Prozent „Unter dem Sand“.

In dem bewegenden Film, der aufwühlt, mitreißt, fortreißt, geht es um junge deutsche Kriegsgefangene, die in Dänemark nach Kriegsende als „Freiwillige“ dazu gezwungen werden, die Nordseeküste von den 2,2 Millionen Landminen zu befreien, die die Wehrmacht zuvor im Sand verbuddelt hatte. Es ist der pure Horror in einer Landschaft, die wir als Urlaubsidylle kennen. Und es ist ein neues Kapitel in der so langen wie blutigen Kriegsgeschichte, das noch nicht erzählt wurde: Bei dem Einsatz im Sommer 1945 starben rund 1000 Menschen, zumeist junge Volkssturm-Soldaten. Es ist ein Film, der die Brutalität des Krieges und die Entmenschlichung in Szene setzt und eine Wucht entfaltet, die an Bernhard Wickis „Brücke“ erinnert.

Gerade einmal 13.500 Zuschauer verirrten sich in deutsche Kinos. In Dänemark sahen hingegen binnen Wochen 160.000 Menschen den Film. Die Kritik war begeistert, Förder­institute wie die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein beteiligten sich mit 465.000 Euro, es regnete Preise, das Prädikat „Besonders wertvoll“ gab es obendrauf, allein es half nichts: Hierzulande war im April 2016 schon nach vier Wochen Sendeschluss.

Und selbst jetzt, wo die dänisch-deutsche Koproduktion für den Oscar nominiert ist, fällt der Anti-Kriegs-Film hinten runter.

Über die Nominierung für „Toni Erdmann“ freut sich das ganze Land, die Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen twittert Glückwünsche. Die dpa schaffte es in ihrem ersten Bericht, neben „Toni Erdmann“ zwei weitere ausländische Filme zu nennen: „Ein Mann namens Ove“ (Schweden) und „Tanna“ (Australien). Zu „Unter dem Sand“ kein Wort. Die „Bild“-Zeitung ist zwar in Hollywood vor Ort, bekam aber ebenso wenig mit. Und fast alle anderen Medien feiern „Toni Erdmann“ und erwähnen den auf Deutsch und Dänisch gedrehten Film höchstens in einem Nebensatz. Dass ihn die Hamburger Amusement Park Films koproduziert hat, ist offenbar keinem aufgefallen. Da hätte man sich etwas mehr PR von der hiesigen Filmförderung gewünscht. Aber nur an der Werbung hat es nicht gelegen. Mögen die Deutschen keine Kriegsfilme? Möglich – wenngleich zünftige Ballerfilme aus Hollywood immer ihr Millionenpublikum finden. Oder bevorzugen sie Komödien? Nun, Gewalt wird hierzulande leider auch gern gesehen. Fehlten einfach die großen Namen?

Hätten Elyas M’Barek oder Matthias Schweighöfer mitspielen müssen, um den Film über die öffentliche Wahrnehmungsschwelle heben? Oder hat die Deutschen der überraschende Versuchsaufbau gestört, wie das Deutschland­radio mäkelte: „So gilt unser Mitgefühl den jungen Männern, ohne dass der Film reflektieren würde, wer den Krieg überhaupt ausgelöst hat und woher der Hass der Dänen gegen sie stammt. Muss der dänische Oberbefehlshaber wirklich wie ein Nazi auftreten?“ Oder lag es einfach daran, dass dieses bewegende Drama einem das Popcorn im Halse stecken lässt, weshalb der Film nicht in die Kinokastenkultur passte?

Schwer zu sagen. Vielleicht rettet ausgerechnet die US-amerikanische Academy of Motion Picture Arts and Sciences den Film vor dem Vergessen. „Unter dem Sand“ geht unter die Haut und gehört auf die Lehrpläne.