Die Elbphilharmonie erweitert auch ganz persönliche musikalische Horizonte
200.000 Euro. Für ein zugegebenermaßen sofort erkennbares, aber doch, wie sagt man es jetzt nett: arg abstraktes Elbphilharmonie-„Gemälde“. Auf Ebay gefunden – und vermutlich der Gag eines genervten Beobachters des derzeitigen elbphilharmonischen Super-Hypes. Und die Botschaft der naiven Kritzelkunst stimmt ja: Zum einen ist das Gebäude derart ikonisch, dass es auch dann noch zweifelsfrei erkennbar bleibt, wenn es für eine Spaßauktion nur angedeutet wird. Und, Gag hin oder her: Es läuft, so im Großen und Ganzen, mit dem neuen Hamburger Konzertsaal. Solange die schlimmsten und motzigsten Beschwerden die sind, dass man „da ja einfach keine Karten“ bekomme (was nur bedingt stimmt, denn wer sich bemüht oder bemüht hat, der bekommt ja Karten – wer nicht bereit ist, auch digital Schlange zu stehen, halt nicht) oder dass man in der Konzertpause „verdammt irgendwie nicht bei Facebook“ reinkommt, um das Erlebte sofort posten zu können, muss man feststellen: alles ein bisschen abgefahren gerade. Aber auch: alles richtig gemacht.
„Neue Räume schaffen neue Inhalte“, hatte der damalige Geschäftsführer der Musikhalle, Benedikt Stampa, im Jahr 2003 vorausgesagt. Was damals, als gerade die ersten Ideen in die Öffentlichkeit purzelten, die erste Vorarbeit geleistet war, forsch geklungen haben mag, ist genau so eingetreten: allein sechs Uraufführungen während des Eröffnungsfestivals. Musik, die nie vorher jemand gehört hat, Komponisten, die dem breiten Publikum vermutlich wenig sagten. Und weil derzeit alles, alles und von allen, allen gekauft wird, wo „Elbphilharmonie“ draufsteht, geraten eben auch Zuschauer in Konzerte, in die sie sich vorher nicht im Traum gewagt hätten. Und entdecken dort plötzlich, wenn vielleicht auch nicht den deutlich sperrigeren Wolfgang Rihm, zum Beispiel für sich: Jörg Widmann. Der Applaus des vollkommen hingerissenen Publikums nach der Widmann-Uraufführung unter Kent Nagano vor wenigen Tagen dauerte mehr als 15 Minuten.
Den Klang kann man dabei so lustvoll sezieren wie den Geschmack eines besonderen Weines. Akustik ist komplex. In diesen Tonlagen besonders krisp, in jenen besonders hell. Hier frisch und klar, dort zu wenig sanft oder „ihrer Farben entkleidet“. Es ist spannend, diese Urteile mit dem Selbsterlebten abzugleichen, die eigene Wahrnehmung daran zu schärfen, Details zu bemerken, auf die man vorher nie geachtet hatte, weil sie einem womöglich nie so wichtig oder vielleicht schlicht: nie bekannt waren.
Der Klang, die Akustik ist also wesentlich und bedeutsam, selbstverständlich. Und Anleitung ist essenziell, um Entdeckungen zu machen und Vergleichbarkeit zu erfahren. Je mehr man weiß, desto mehr möchte man wissen. Aber was „guter“ Klang ist, entscheidet man am Ende zu einem großen Teil eben auch für sich. Musik ist Dynamik, Rhythmus, Rhetorik, Betonung, Melodie. Und Seele. Ein Musikerlebnis ist immer auch Herzensbildung.
„Die Musik spricht für sich allein. Vorausgesetzt, wir geben ihr eine Chance“, hat Yehudi Menuhin einmal gesagt. Diese Chance ist jetzt gegeben. Und so absurd man den Hype um die Elbphilharmonie-Eröffnung finden mag, so endlos skurril manche Begleiterscheinungen wie die 200.000-Euro-Spaßauktion auf Ebay auch sind – sie sind es ja nicht, um die es hier geht. Jeder, der eine Konzertkarte ergattert hat, geht hin. Jeder Platz ist besetzt.
Und jeder Ton wird vernommen.