Joachim Gauck war ein großes Staatsoberhaupt – das beweist auch seine letzte Rede.
Der Beifall im Schloss Bellevue war lange und ehrlich. Joachim Gauck hat mit der letzten großen Rede seiner Amtszeit gestern der Öffentlichkeit noch einmal schmerzlich klargemacht, wie groß die Lücke ist, die der elfte Präsident der Bundesrepublik Deutschland hinterlassen wird.
Gauck war ein idealer Bundespräsident. Empathisch, sympathisch und klug als Repräsentant Deutschlands in aller Welt. Und zu Hause bewies er zusätzlich ein exzellentes Gespür für die Momente, in denen die operative Politik dringend Verstärkung oder einer Korrektur bedurfte.
Mit seinem Mut zum offenen Wort hat Joachim Gauck nach dem beleidigten Abgang Horst Köhlers und der Albtraum-Präsidentschaft von Christian Wulff die Identitätskrise des höchsten Amtes im Staat beendet. Der Bundespräsident hat die Olympischen Winterspiele der Russen in Sotschi schon boykottiert, als die deutsche Außenpolitik den Aggressor Wladimir Putin noch mit verbalen Wattebäuschchen bewarf. Er fand klare Worte zum freiheitsfeindlichen Gebaren des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, nannte den Völkermord an den Armeniern beim Namen und verteidigte auch glaubhaft die Freiheit der deutschen Presse gegen die Diffamierung als „Lügenpresse“ durch die Neue Rechte. Gauck verzichtete in seiner Rede auf einen eitlen, sentimentalen Rückblick, sondern nutzte die letzte große Aufmerksamkeit vor dem Ausscheiden aus dem Amt auch für einen Weckruf: Passt auf, Politiker! Deutschland muss wehrhaft gegen seine Feinde sein!
Das ging – ohne ihren Namen zu nennen – an die Adresse der Bundeskanzlerin, die im Zuge ihrer Flüchtlingspolitik rechtsfreie Zustände hingenommen hat. Sie wollte ihn verhindern, und ihre Ansage „Eines ist klar – der Gauck wird’s nicht“ wird der Bundespräsident nicht vergessen haben. Aber Joachim Gauck hat Größe gezeigt und im Amt nicht triumphiert, sondern Angela Merkel eine Brücke gebaut. Diese war nach fünf Jahren Amtszeit so stabil, dass die Bundeskanzlerin Joachim Gauck am Ende gerne im Schloss Bellevue behalten hätte.
Joachim Gaucks Warnung vor den Gefahren für unser Land galt gestern aber auch denjenigen, die nicht den Mut aufbringen, die sogenannten Gefährder unserer offenen Gesellschaft entweder wegzusperren oder konsequent außer Landes zu bringen. Der DDR-Bürger Gauck hat jahrzehntelang ein repressives Regime erlebt. Deshalb sind seine Forderungen nach dem starken Staat und dem entschlossenen Verteidigen unserer Demokratie besonders glaubwürdig. Mut, der bedingungslose Kampf für die Freiheit, gesundes nationales Selbstbewusstsein und gleichzeitig eine liberale Weltoffenheit waren die Themen, die bei Gauck nie aufgesetzt wirkten, sondern vorgelebt waren. Auch in seiner letzten großen Rede in seinem Amtssitz sprach er sie mit Nachdruck an.
Jetzt sind es noch wenige Wochen, bis sich der Bundespräsident in den Ruhestand verabschiedet. Es ist müßig, sein Ausscheiden zu beklagen, zumal Frank-Walter Steinmeier das Potenzial hat, ein würdiger Nachfolger im Amt zu werden.
Wer Gauck in kleinem Kreis erleben durfte, weiß, dass Kraft und Physis des 76-Jährigen durchaus noch für eine weitere Amtszeit als Bundespräsident gereicht hätten. Aber Gauck hat eine junge Frau, eine große Familie und will sein Leben im Ruhestand noch genießen. Es sei ihm gegönnt, denn er hat es sich wahrlich verdient.