Der Anschlag von Berlin erschüttert unsere Weltsicht. Aber nicht wir liegen falsch, sondern die Terroristen

Es sind Bilder, die das Land bis ins Mark erschüttern: Ein Terrorist hat einen geraubten Lkw mitten in einen Weihnachtsmarkt gesteuert; zerstörte Buden, umgekippte Christbäume, Trümmer allerorten. Mindestens zwölf Menschen sind tot, Dutzende verletzt. Es ist der blanke Horror im Schatten der Gedächtniskirche, die mit ihrer Turmruine als Mahnmal für die Schrecken des Krieges steht und mit ihrem neu gebauten Turm auch ein Symbol für die Wiederauferstehung ist. Der weltweite Terror weiß mit den Bildern virtuos zu spielen – allein das zwingt zu einem sensiblen Umgang mit diesen Bildern. Weihnachten, das Fest der Liebe, wird zu Tagen des Schreckens.

Das, was man in Berlin sieht, erinnert an Krieg. Und trotzdem hilft die Kriegsrhetorik nicht weiter, zu der auch der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Klaus Bouillon (CDU), greift. Wer von Krieg redet, muss sich der Konsequenzen bewusst sein. Will er etwa das Kriegsrecht verhängen? Die Bundeswehr einsetzen? Flüchtlinge unter Generalverdacht stellen? Natürlich nicht. Die Unruhe im Land ist groß genug, da hilft eine weitere verbale Aufrüstung nicht weiter.

Fakt ist, dass die Sympathisanten des „Islamischen Staats“ uns, unserer Lebensweise und unseren Traditionen seit Langem den Kampf angesagt haben. Der Terror von Berlin, auch wenn eine Selbstbezichtigung bislang fehlt, folgt minutiös Aufrufen der Islamisten. Längst haben sich die Teufelskrieger auf Anschläge mit massiven Folgen bei minimalem Aufwand konzentriert. Jedem enthemmten Terroristen – das zeigt Berlin – genügt eine Waffe, um sich eines Lastwagens zu bemächtigen und größtmögliches Unheil anzurichten. In Islamisten-Netzwerken heißt es dazu: „Rase einfach mitten in die Hundemenge.“ Das klingt nicht nur nach Faschismus, das ist seine Wiederkehr – dieses Mal nicht unter dem Hakenkreuz, sondern unter dem Schwarzen Banner.

Entsprechend muss es auch einen ähnlich konsequenten Kampf gegen den Islamismus geben – auch unabhängig von der Urheberschaft der Berliner Attacke. Angesichts dieser Herausforderungen scheint die Politik der offenen Grenzen gescheitert. Vor genau einem Jahr sagte der Weltpolitiker Henry Kissinger durchaus anerkennend, aber zutiefst verwundert: „Eine Region verteidigt ihre Außengrenzen nicht, sondern öffnet sie stattdessen. Das hat es seit einigen Tausend Jahren nicht mehr gegeben.“ Schon nach den Anschlägen von Würzburg und Ansbach musste man kritischer über die Zuwanderungspolitik nachdenken. Natürlich gilt weiterhin: Der überwiegende Teil der Flüchtlinge ist gerade vor dem Terror der Islamisten nach Deutschland geflohen. Sie verdienen Schutz und Solidarität. Aber wer den Kontrollverlust an den europäischen Grenzen sehenden Auges über einen längeren Zeitpunkt akzeptiert – wie es die Große Koalition mit Ausnahme der CSU getan hat –, gefährdet die innere Sicherheit. Und wer glaubte, der „IS“ würde sich wegen dieser Freundlichkeit mit Anschlägen zurückhalten, ist naiver, als die Polizei erlaubt.

Nun erleben wir geradezu groteske Diskussionen: Sicherheitsexperten überschlagen sich mit Ideen, wie die schätzungsweise 2500 Weihnachtsmärkte in Deutschland zu schützen seien. Darüber sprechen mitunter dieselben Politiker, die den Bürgern vor einem Jahr weismachen wollten, die Grenzen des Landes seien leider nicht zu sichern. Erinnern wir uns: Als Frankreichs damaliger Premierminister Manuel Valls im November 2015 nach den Anschlägen von Paris, bei denen übrigens viele Tatbeteiligte über die nicht kontrollierte Balkanroute eingereist waren, Europa zur Grenzschließung aufforderte, blitzte er in Berlin ab. Es ist kein Ausweis europäischer Solidarität, dass man erst selbst getroffen werden muss, bevor ein Prozess des Umdenkens einsetzt. Noch steht nicht mit Sicherheit fest, wer das Attentat von Berlin verübt hat – an einem islamistischen Hintergrund zweifeln die wenigsten.

Das Experiment der offenen Grenzen ist gescheitert – die offene Gesellschaft ist es keineswegs. Sie ist stärker, als ihre Gegner glauben und wir selbst manchmal vermuten. Nicht wir müssen unser Leben ändern – ganz im Gegenteil: Wir müssen so bleiben. Die verheerenden Anschläge bergen die Chance, näher zusammenzurücken, Christen, Atheisten und Muslime, Einwanderer und Alteingesessene. Zugleich sollten die schrecklichen Bilder von Berlin auch unsere zerrissene Gesellschaft einen – der Gegner ist eben nicht der Andersdenkende, sondern der menschenverachtende Nihilismus. Sein Hass trifft alle – übrigens gerade die vielen Muslime und Flüchtlinge, die sich hier ums Ankommen, um Integration bemühen.

Der überwiegende Teil der ­Menschen will in Frieden leben; wer aber nicht im Frieden leben will, für den kann und darf Deutschland keine ­Heimat sein.