Gewalt gegen OSZE-Treffen und G20 ist kriminell und kontraproduktiv

Manchmal möchte man in die Köpfe einiger Zeitgenossen hineinschauen, um zu verstehen, was sie antreibt. Die Gedankengänge der „Rebell_innen der Subversion“ etwa, die am Sonnabend den Eingang des Messegeländes angegriffen haben, würde man gern verstehen. Wissen die Täter eigentlich, wen sie da angreifen? Und warum? Bedenken die Hobby-Guerilleros („Hurra! Hurra! die Messe brennt“) die Folgen ihres Tuns? Man muss daran zweifeln.

Natürlich ist verständlich, dass viele Anwohner im Schanzenviertel angesichts der drohenden Einschränkungen in ihrem Lebensumfeld nicht in Jubelstürme ausbrechen: Die OSZE-Außenminister-Konferenz in knapp zwei Wochen und erst recht der G20-Gipfel im Juli 2017 verwandeln die Stadt in eine Hochsicherheitszone. Manche kritisieren, dass derlei Treffen nicht in die Herzen der Großstädte gehören, sondern an die Peripherie. Allerdings spricht daraus ein seltsames Demokratieverständnis: Jede politische Demonstration strebt zu Recht in Großstädte. Und da dürfen sich vom Volk gewählte Regierungschefs nicht mehr in Metropolen treffen, weil es einer gewaltbereiten Minderheit missfällt?

Wogegen richtet sich der Widerstand eigentlich? Das OSZE-Ministertreffen wird – auch wenn einige weniger lupenreine Demokratien wie die Türkei, Russland oder Aserbaidschan teilnehmen werden – kein Stelldichein von Schurkenstaaten.

Ähnliches gilt für den G20-Gipfel im Sommer. Man darf den Machtanspruch der führenden sieben Industriestaaten, die sich G7 nennen, kritisieren. Sie stehen für ökonomische Macht, aber nicht für die Mehrheit, sie repräsentieren nur zehn Prozent der Weltbevölkerung. Ganz anders die G20: Das Treffen, zu dem Schwellenländer wie China, Brasilien, Indien, Südafrika und Indonesien stoßen, vertritt zwei Drittel der Erdbewohner, 90 Prozent des Weltsozialprodukts und 80 Prozent des Welthandels. Wer gegen die G20 kämpft, kann auch gleich die Vereinten Nationen ins Fadenkreuz nehmen. Die Uno, Friedensnobelpreisträger von 2001, ist übrigens im Sommer beim Gipfel ebenso dabei wie Vertreter der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), dem Friedensnobelpreisträger 1969, oder der EU, Friedensnobelpreisträger von 2012. Zudem will die Bundesregierung auch viele Nichtregierungsorganisationen einbinden.

In Zeiten, in denen die Welt aus den Fugen geraten scheint, in denen Nationalisten, Rassisten und Populisten erstmals seit Jahrzehnten gefestigte Demokratien erschüttern, sind Treffen wie diese besonders wichtig: Sie dienen nicht nur dem Austausch, sondern bilden auch Vertrauen. Verfeindete Staaten können sich dort zu bilateralen Runden verabreden. Diese Gipfel sind kein gigantischer Kaffeeklatsch, sondern Entscheidertreffen: 2009 einigten sich die G20 in Pittsburgh auf die Bändigung der entfesselten Finanzmärkte – leider fehlte am Ende einigen Staaten der Mut zur Umsetzung. Rückblickend betrachtet, brachten die Gipfel aber Verbesserungen beim Klimaschutz oder der Entwicklungspolitik. Der reflexhafte Widerstand einiger Linker gegen internationale Treffen hat da etwas Pubertäres.

Gleichwohl ist es gut, wenn Nichtregierungsorganisationen Veranstaltungen wie den G20-Gipfel nutzen, um eigene Treffen abzuhalten, kritische Fragen zu stellen, Menschen eine Stimme zu geben, die in der Großdiplomatie überhört werden. So rücken Themen wie Minderheiten- und Umweltschutz, Ungerechtigkeiten im Welthandel oder Rüstungsexporte auf die Agenda. Diese oft ehrenamtliche Arbeit der Initiativen wird durch Wirrköpfe und Gewalttäter beschädigt. Berechtigte Thesen der Gipfelkritiker verbrennen im Feuer der Barrikaden und verschwimmen im Nebel des Tränengases. Auch Autonome dürfen sich die Frage stellen, wem ihre Krawalle eigentlich nützen sollen. Cui bono? Vielleicht Radikalen wie Donald Trump, Autokraten wie Recep Tayyip Erdoğan oder Wladimir Putin und anderen politischen Rechtsaußen. Allen anderen schaden sie.