Die sportliche Krise stellt die beim FC St. Pauli propagierte Geschlossenheit und Kontinuität auf eine harte Probe.

In rund drei Wochen ist es zwei Jahre her, dass beim FC St. Pauli eine der umfangreichsten personellen Umwälzungen der vergangenen Jahrzehnte vollzogen wurde. Das fünfköpfige Präsidium wurde seinerzeit komplett ausgetauscht, von den sieben Aufsichtsratsmitgliedern blieben nur zwei im Kon­trollgremium. An jenem 16. November 2014 stand die Fußball-Profimannschaft von Deutschlands bekanntestem Stadtteilclub ähnlich schlecht da wie heute, auf einem direkten Abstiegsplatz der Zweitligatabelle. Wer allein diese Parallelität betrachtet, kann zu dem Schluss kommen, der Club vom Millerntor sei in diesen zwei Jahren unter der Führung des Präsidenten Oke Göttlich und seiner vier Vize-Präsidenten sowie der Aufsichtsratsvorsitzenden Sandra Schwedler kein Stück vorangekommen.

Der Autor ist St.-Pauli-Reporter beim Abendblatt
Der Autor ist St.-Pauli-Reporter beim Abendblatt © HA | Klaus Bodig

Es ist offenkundig, dass diese These bei genauerem Hinsehen und einem erweiterten Betrachtungswinkel so platt nicht zu halten ist. Neue und erweiterte Sponsorenverträge, ein millionenschwerer Ausrüstervertrag, auf den selbst manch Erstligist neidisch sein kann, der Rückkauf der lukrativen Merchandisingrechte inklusive der Neustrukturierung dieses Geschäftszweiges und ebenfalls eine veränderte Struktur auf der Geschäftsstelle mit mehr Kompetenzen und Verantwortung für die Bereichsleiter sind hier nur die wichtigsten Stichworte. Der FC St. Pauli ist unter einem „fannahen Präsidium“ – so lautete die vor zwei Jahren vom damaligen Aufsichtsrat vor der Neuwahl postulierte Maßgabe – auf einem klaren Weg der Professionalisierung.

Diese trägt zweifellos auch die Handschrift des vor gut einem Jahr eingestellten kaufmännischen Geschäftsführers Andreas Rettig. Die Zeiten, in denen der FC St. Pauli ein liebenswerter Chaosclub mit permanenten Geldsorgen war, gehören der Vergangenheit an. Unter der derzeitigen Führung ist ein Rückfall realistisch auch nicht zu erwarten.

Bei Abstieg würde viel Geld fehlen

Das Fatale an der Sache ist nur, dass am Ende der sportliche Erfolg oder Misserfolg ein ganz entscheidender Faktor ist, ob es einem Profisportverein wirtschaftlich gut oder schlecht geht. Ein Abstieg in die Drittklassigkeit hätte dramatische Auswirkungen auf die derzeit wachsenden Einnahmen. 90 Prozent der TV-Gelder würden wegfallen, Sponsorenverträge würden aufgelöst oder müssten neu verhandelt werden und so weiter. Andreas Rettig hat die Problematik des Ligasystems einmal sehr pointiert beschrieben: „Auch wenn alle 18 Clubs alles richtig machen würden, müssten am Ende der Saison doch zwei von ihnen absteigen.“ Im Grunde ist es noch schlimmer, denn auch wenn Clubs bei Weitem nicht alles richtig machen, können sie mit einer Portion Zufall und Glück zumindest den Klassenverbleib schaffen.

Zur angestrebten Politik des FC St. Pauli gehört – immer wieder ausgesprochen von den Führungskräften – Geschlossenheit und personelle Kontinuität. In der Trainerfrage gilt dies auch, wobei Freiburg (Christian Streich) und Braunschweig (Torsten Lieberknecht) als Beispiele dafür dienen, dass das Festhalten an einem Trainer trotz eines Negativerlebnisses auf Sicht erfolgreich sein kann.

Im konkreten Fall von Ewald Lienen müssen die guten Vorsätze der St.-Pauli-Führung derzeit eine schwere Probe bestehen. Gegen eine Trennung spricht bei dem Cheftrainer weiterhin nicht nur die erfolgreiche Arbeit von 17 Monaten bis zum Ende der vergangenen Saison, sondern vielleicht noch mehr die Tatsache, dass er als Persönlichkeit annähernd perfekt zu diesem Club und dessen politischen Botschaften passt.

Und doch wird es mit jeder weiteren Niederlage schwerer, der Versuchung zu widerstehen, den Weg aus der sportlichen Krise doch einem anderen Übungsleiter anzuvertrauen. Lienens längste Verweildauer als Trainer bei einem Proficlub waren bisher gut zweieinhalb Jahre (beim 1. FC Köln). Es ist ihm zu wünschen, dass er diesen Wert beim FC St. Pauli übertreffen und beweisen kann, dass er nicht nur ein „Feuerwehrmann“ ist, sondern ein Team bei Ruhe im Umfeld auch weiterentwickeln kann.