Die Referenden in Kolumbien und in Großbritannien zeigen: Basisdemokratie kann entgleisen. Doch dies gilt nicht überall

Wenn man sich so umschaut in der Weltgeschichte, sind Volksabstimmungen ein ziemlich riskantes Instrument. Gerade stimmte eine knappe Mehrheit der Kolumbianer gegen den Friedensvertrag mit den Farc-Rebellen, den Präsident Juan Manuel Santos, der neue Friedensnobelpreisträger, mühselig ausgehandelt hatte. Der sieht zwar eine Entwaffnung der Farc und ihre Umwandlung in eine politische Partei, Wiedergutmachung für ihre Opfer und eine Landreform vor, aber vielen Bürgern gehen diese Zugeständnisse offenbar zu weit. Nur: Bei 37,4 Prozent Beteiligung stimmten fast zwei Drittel gar nicht ab. „Volksabstimmung“ geht anders.

Auch Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán konnte mit seinem Referendum gegen die Aufnahme von Flüchtlingen nicht die nötige Mehrheit mobilisieren. Zwar stimmten 98,3 Prozent der Teilnehmer seinen Wünschen gemäß am 3. Oktober mit Nein, aber bei nur 39,9 Prozent Wahlbeteiligung ist das Referendum nicht rechtsgültig. Anders beim Brexit: An Großbritanniens Abstimmung über einen EU-Austritt im Juni beteiligten sich immerhin 72 Prozent der Stimmberechtigten. Das fatale Ergebnis löste im Land gleich mehrere politische Schockwellen aus.

In allen drei Fällen wollte das Volk nicht so wie die Regierung. Das ist sein gutes Recht; wer fragt, kriegt eben eine Antwort. Einerseits. Andererseits setzt ein Referendum voraus, dass das Volk vorher über die Sachfragen sorgfältig informiert wird, auch über mögliche Folgen von „Ja“ und „Nein“. Populistische Schwarz-Weiß-Malerei hat daran kein Interesse. Wenn ich an die haarsträubenden Anti-EU-Kampagnen von Nigel Farage oder Boris Johnson denke, ging es in Großbritannien eher um gezielte Desinformation. Auch Viktor Orbán wollte sich mit seinem Referendum nur seine europafeindliche Politik absegnen lassen. Traurige Erkenntnis: Erkämpfte Basisdemokratie kann auch entgleisen. Vor allem wenn populistische Politiker das Volk für Entscheidungen in Haftung nehmen, die sie selbst nicht zu treffen wagen. Ist das Volk also zu doof, um über komplizierte nationale, wirtschaftliche, rechtliche Fragen mitzuentscheiden? Muss nicht die Gestaltung staatlicher Politik gewählten Regierungen und Parlamenten vorbehalten bleiben, die Zeit haben, sich einzuarbeiten?

Gegenfrage: Muss man das Kind mit dem Bade ausschütten? Ich finde nicht. Zumindest auf kommunaler Ebene machen Volksentscheide in vielen Bereichen Sinn und können eine wichtige Korrektur bewirken. Ein Beispiel war der Hamburger Volksentscheid über den Rückkauf der Energienetze im September 2013. Die Mehrheit der Bürger will grundlegende Versorgungsaufgaben, auch die Energiepolitik, in der öffentlichen Hand sehen, viele hatten sich schon über die Privatisierung der Krankenhäuser geärgert. Ähnlich wichtig und vernünftig: die von Bürgern gestartete Hamburger Volksinitiative gegen Flüchtlings-Großunterkünfte Ende Februar oder die Berliner Volksinitiative für den Erhalt des Tempelhofer Feldes.

Manchmal sind sich städtische „Eliten“ allzu sicher, am besten zu wissen, was gut ist fürs Volk. In Hamburg glaubten SPD, Grüne, CDU, FDP (und sogar die AfD) fest an breite Zustimmung für die Olympia-Bewerbung. Dennoch lockte der Volksentscheid so viele Hamburger (50,2 Prozent) an die Urnen wie kein anderer zuvor und endete mit einem klaren Nein. Waren das alles beschränkte „Event-Verweigerer“? Nein, auch in anderen Metropolen wächst die Vorsicht gegenüber Großveranstaltungen. Auch Boston, München und Rom machten Olympia-Rückzieher, nicht zuletzt wegen der Knebelverträge, die das IOC den Gastgeberstädten aufzwingt.

Als die Niederländer und die Franzosen in Referenden 2005 gegen die EU-Verfassung votierten, hätte das in Brüssel als Warnschuss verstanden werden können. Aber die eilig angekündigte breite Debatte mit Bürgern, Parlamenten und Sozialpartnern der Mitgliedstaaten über die EU fand nicht statt. Das nutzen die Ukip, der Front National und andere EU-Gegner heute aus.

Ja, es ist gefährlich, das Volk zu instrumentalisieren. Aber wir brauchen auch direkte Demokratie. Entscheidend ist, was man aus Referenden lernt.