Die Chefin des Elbphilharmonie Orchesters geht – gerade jetzt, vor dem Start

Würde sich das Hamburger Musikleben mit den hiesigen Beteiligten jetzt – keine 100 Tage vor dem ersten Eröffnungskonzert der Elbphilharmonie – in einer Schachpartie mit den Berliner Philharmonikern befinden, dann hätten die Berliner gerade kaltlächelnd die gegnerische Dame gekegelt. Dass die NDR-Klangkörpermanagerin Andrea Zietzsch­mann im Herbst 2017 den Intendantenposten der Berliner Philharmoniker übernehmen soll, ist aus Berliner Sicht nur eine Selbstverständlichkeit: Kein anderes Top-Orchester ist so sehr darauf aus, stets die ihrer Meinung nach Besten zu sich zu holen. Um ihren neuen, nächsten Chefdirigenten, den noch öffentlichkeitsscheuen Kirill Petrenko, werden die Berliner schon vor dessen Debütkonzert als Chef musikweltweit beneidet. An diesem Donnerstag soll im Foyer der Philharmonie unterschrieben werden.

Für die Kulturstadt Hamburg jedoch ist diese Personalie vor allem ein schwerer Schlag ins elbphilharmonische Kontor. In den vergangenen vier Jahren hatte die vom HR aus Frankfurt kommende Zietzschmann die Vorarbeit für die programmatische Prägung der Elbphilharmonie durch das Rundfunkorchester und seinen Chef­dirigenten Thomas Hengelbrock geleistet, mit einer effektiv zielstrebigen Mischung aus Können, Freundlichkeit und Hartnäckigkeit. Das NDR-Orchester benannte sich vor einigen Monaten nach seiner neuen Spielstätte um, um allen in der Stadt und im Rest der Welt klarzumachen, wer dort für mindestens zehn Jahre – so lang läuft die derzeitige Residenz-Vereinbarung – die erste Geige spielen will.

Und bald also, in der ersten kompletten Elbphilharmonie-Saison des NDR, die durch und durch ihre Handschrift tragen wird, weil sie längst geplant ist, wird Zietzschmann nicht mehr da sein. Sondern bei einer Prestige-Konkurrenzadresse, die für sie noch attraktiver ist als die Elbphilharmonie. Bei einem Triple-A-Orchester, das schon seit Jahrzehnten dort steht, wo der NDR-Klangkörper hinwill und hinsoll: ganz oben. Ausgerechnet jetzt, wo es nun wirklich losgeht und die Musikstadt-Fieberkurve in ganz Hamburg immer steiler nach oben zeigt. Die NDR-Konzertpläne kommen zwar nicht so schnell ins Wackeln, denn die großen Gastkünstler müssen langfristig engagiert werden. Aber die Klassik-Branche ist ein Nasen-Geschäft, in der fast alle alle kennen, aber nicht alles mit allen wagen wollen.

Nun wird es, nachdem so vieles in Sachen Elbphilharmonie sehr nach allumarmender Verbrüderung und viel Harmonie aussah, wieder spannend. Zietzschmanns Posten – Intendantin des wichtigsten Orchesters im spektakulärsten Konzerthaus der Welt – ist eine Position, für die viele andere Intendanten oder Orchestermanager sofort ihre Großmutter zum Spottpreis verscherbeln würden. Spannend wird auch, wie sehr NDR-Chefdirigent Hengelbrock sich in die Suche einbringt, um sie nach seinem Gusto zu beeinflussen. Und ob und wie Zietzsch­manns Nachfolger oder Nachfolgerin sich mit Generalintendant Christoph Lieben-Seutter verträgt, dem Hausherrn im Neubau, der neben seinen eigenen Konzerten auch die Gruppendynamik zwischen NDR, Philharmonikern, Symphonikern und privaten Anbietern zu betreuen hat. Besonders interessant aber: Wie die Chemie zwischen der öffentlich-rechtlichen Führungskraft und der Kulturbehörde sein wird, die bei dieser NDR-Berufung ja nur einflusslos am Bühnenrand stehen kann. Die nächsten Schachzüge dieser Partie werden es in sich haben.