Die Schmidt-Bühnen haben den Kiez attraktiv gemacht. Aber jetzt gibt es neue Probleme.

Manche Umschwünge kündigen sich auf absurde Weise an. 1990 wollten sich Corny Littmann, Norbert Aust und der damalige Kultursenator Ingo von Münch (FDP) den alten Bierpalast Zillertal am Spielbudenplatz mal ansehen. Tags zuvor hatte Littmann gewitzelt, nirgendwo sonst könne man „als Bayern kostümierte polnische Musiker erleben, die für japanische Touristen Blasmusik spielen“. Die Zillertal-Leitung war beleidigt. Sie erteilte dem frechen Nachbarn Hausverbot, die Besichtigung fand nicht statt.

Das half aber nichts, wie wir heute wissen: Am 1. September 1991 hatten Littmann und Aust das frühere „Zillertal“ geentert und luden zur Einweihung von Schmidts Tivoli ein, gleich neben ihrem 1988 eröffneten Schmidt Theater. Mit Comedy, Parodie, Travestie und der Diseuse Georgette Dee brachten sie neue, freche Impulse auf den Kiez. Littmann kam aus der Off-Theater-Szene, Provokation war sein zweiter Vorname. Aber er und seine Mitstreiter bewiesen gute Nasen. Das Schmidt wurde zum Sprungbrett von Künstlern wie Rosenstolz, Olivia Jones und Kay Ray, im Tivoli etablierten sich erfolgreiche Musikproduktionen wie „Cabaret“, „Im weißen Rössl“, „Fifty Fifty“, „Sixty Sixty“ und seit 2003 die „Heiße Ecke“, die gestern ihre 3644. Vorstellung erlebte und schon zwei Millionen Zuschauer begeisterte.

St. Pauli hat immer wieder solche Zeitenwechsel erlebt. Aus den braven Garten- und Tanzlokalen der Kaiserzeit wurden die ersten Kinos, „Concert-Bühnen“ und Varietés. In den 1960ern wurde Hamburg mit dem „Eros-Center“ bundesweit bekannt, in dem eine „saubere“, quasi gewerkschaftlich geordnete Sexarbeit den Straßenstrich ablösen sollte. Nach den Ludenkriegen der 70er sank St. Paulis Ruf allerdings auf den Nullpunkt. In den Striptease-Bars, Nepplokalen und Spielhallen wurden Gäste ausgenommen wie die Weihnachtsgänse. St. Pauli, befand Helmut Schmidt damals, „da geht der Hamburger nicht hin“.

Aber so, wie das Top Ten und der Star Club einmal das Hans-Albers-Zeitalter abgelöst hatten, läuteten die Schmidt-Häuser eine neue Ära ein. Plötzlich bevölkerten den Kiez kichernde Damen-Kegelclubs aus Vechta, die sich über Marlene Jaschke als „Carmen“ im Flamenco-Häkelkleid amüsierten oder von Lilo Wanders den G-Punkt erklären ließen. Spätestens 1995 war Helmut Schmidt widerlegt: Zur Feier von Inge Meysels 85. Geburtstag im Tivoli – live übertragen in der ARD – war Schmidt selbst zu Gast.

Nur bleibt eben nichts, wie es war. Dass der Kiez wieder massentauglich geworden ist, hat Folgen. Im „Trendviertel“ St. Pauli zählen Wohn- und Gewerbemieten heute zu den höchsten in Hamburg. Das Rotlicht-Milieu ist geschrumpft, die Feierszene gewachsen. So berühmt die „Esso-Tanke“ auch war – sie zog die ins Kraut schießende Kiosk-Szene nach sich, die dem Kiez heute den Hals zuschnürt. Wenn die Kiezbesucher lieber mit Billiggetränken auf der Straße „feiern“ (und pinkeln), kämpfen Musik-Clubs, Bars und Kult-Kneipen ums Überleben. Dagegen kann auch das neue St.-Pauli-Klubhaus mit dem „Schmidtchen“ als jüngstem Schmidt-Kind wenig ausrichten.

25 Jahre Tivoli sollten deshalb auch ein Anlass sein, über behutsamen Bestandsschutz der (noch) gemischten Kiez-Szene nachzudenken. Mit Andy Grote hat St. Pauli einen engagierten Bezirksamtsleiter ans Innenressort verloren. Nachfolger Falko Droßmann hält sich da noch sichtlich zurück. Er sollte nicht warten, bis St. Pauli ein Retter-T-Shirt braucht.

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