Hamburg wehrt sich juristisch gegen weitere Schwächung der Politik – zu Recht

An Spitzenplätzen hat die Hansestadt eine ganze Menge zu bieten: Im Hockey oder Beachvolleyball, das haben Hamburger Sportler gerade erst bei Olympia gezeigt, sind wir top; bei Untersuchungen zur Lebensqualität in Großstädten landen wir stets auf einem vorderen Platz, das wohl imposanteste Konzerthaus eröffnet im Winter, und die HafenCity zählt zu den bundesweit herausragenden städtebaulichen Projekten. Spitzenplätze, auf die Hamburg stolz sein darf. Wenig Freude macht ein anderer Spitzenplatz, und einen Grund, darauf stolz zu sein, gibt’s auch nicht: Hamburg ist unter den Bundesländern weit vorn in Sachen direkte Demokratie. Es gibt Volksinitiativen, Volksbegehren, Volksentscheide und ein personalisiertes Wahlrecht, das per Volksentscheid durchgesetzt wurde. Was es aber nicht gibt, ist eine Stärkung der Demokratie durch all diese plebiszitären Elemente.

Jetzt, endlich, hat der Senat das Hamburgische Verfassungsgericht angerufen, um die schlimmsten Auswüchse, die mittels einer weiteren Volksinitiative auf den Weg gebracht werden sollen, zu verhindern. Jetzt, endlich, wehrt sich die legitimierte Politik gegen die selbst ernannten Politikwächter aus einem Verein, der sich „Mehr Demokratie“ nennt – als hätte Hamburg dieses Mehr nötig. Bürger- oder Volksentscheide sind in erster Linie Misstrauenserklärungen gegenüber Abgeordneten und verschärfen die Legitimationskrise der parlamentarischen Demokratie weiter. Wozu dienen Parlamente, wozu engagieren sich vom Volk gewählte Politiker, wenn man ihnen nicht zutraut, zum Wohle des Volkes zu entscheiden? Jede direkte Abstimmung kommt einer weiteren Selbstentmachtung der Politik gleich, sie schwächt die Parteien und schadet der Akzeptanz von Bürgerschaft oder Bezirksversammlungen. Während parlamentarische Gremien einen Interessenausgleich garantieren, vertreten Initiativen gerade auf Bezirksebene vor allem Partikularbedürfnisse.

Die Idee, mit Volksbefragungen die Teilhabe zu erhöhen, kehrt sich ins Gegenteil: Parteien gelingt es zunehmend schlechter, Menschen für ihre Arbeit zu gewinnen, die Wahlbeteiligung sinkt dramatisch, das Interesse an Politik schwindet weiter. Volksabstimmungen sind kein probates Mittel gegen Politikverdrossenheit. Sie tragen auch nicht dazu bei, in Stadtteilen mit schwieriger Sozialstruktur die Menschen zumindest in Sachfragen verstärkt mitzunehmen, sondern sie sind in erster Linie ein Verhinderungs­instrument. Das Signal lautet oft: „Denen da oben zeigen wir es.“ Wie zuletzt bei der Abstimmung über Olympia. 85 Prozent der Parlamentarier waren für Spiele in Hamburg, der Volksentscheid dagegen war somit auch ein Votum gegen die Politik im Rathaus.

Vermutlich lässt sich die sogenannte direkte Demokratie nicht mehr komplett zurückdrehen. Es fehlt der Politik wohl der Mut, sich öffentlich mit dem Verein „Mehr Demokratie“ anzulegen, denn dann drohten neue Volksentscheide zu diesem Thema.

Die richtige Antwort auf schwindendes Interesse an Politik ist nicht, sie in andere Hände zu geben, sondern Politik spannender zu machen. Parteien müssen sich noch stärker öffnen. Auch wer sich nur für ein örtlich und zeitlich begrenztes Thema interessiert, sollte in den Parteien willkommen sein. Die besten Kandidaten gehören auf die Wahllisten, auch wenn sie den Parteien gar nicht angehören. Und die Debatten im Parlament müssen spannender und bürgernäher werden. An genau diesen strukturellen Veränderungen arbeiten Parteien, Abgeordnete und Bürgerschaft. Wir sollten es ihnen überlassen, nicht einem Verein.

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