Warum keiner den EM-Titel mehr verdient hätte als der bestverdienende Fußballer der Welt
Portugal also. Na toll! Ausgerechnet Portugal, ausgerechnet Cristiano Ronaldo. Ausgerechnet die Mannschaft um den vielleicht wichtigtuerischsten Fußballer dieses Planeten steht im Endspiel der Europameisterschaft. Wer noch einen letzten Beweis brauchte, dass die EM 2016 von Anfang bis Ende völlig verkorkst ist, der hat diesen Nachweis am Mittwochabend auf dem Silbertablett serviert bekommen. Nicht die sympathischen Waliser, die bis zum Schluss gedribbelt, gehofft und gekämpft haben, sondern die Portugiesen, die tatsächlich das einmalige Kunststück vollbracht haben, mit nur einem einzigen Sieg in 90 Minuten bis ins Finale in Paris einzuziehen, haben es geschafft. Und Schuld hat natürlich vor allem einer: Ronaldo.
Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro ist arrogant, eitel und egozentrisch. Der Portugiese ist selbstgefällig, selbstgerecht und selbstherrlich. Er ist ein stolzer Snob, ein großtuerischer Gockel, ein peinlicher Poser. Sein cowboyhafter Anlauf bei Freistößen hat in etwa so viel Stil wie ein Goldkettchenträger mit tiefergelegtem Manta, der mit laut aufgedrehter 90er-Musik und mit dem heruntergekurbelten Fenster am Gänsemarkt stundenlang im Kreis fährt. Das alles weiß, denkt und sagt jeder. Und an dieser allgemeinen Ronaldo-Meinung ändert auch nichts, dass der Galaktische von Real Madrid der wohl beste Fußballer der Welt ist.
Doch so 100 Prozent klar Letzteres ist, so unklar scheint der Rest dieser Klischee-Geschichte. Denn Cristiano Ronaldo soll eben weit mehr als nur ein Jahrhunderttalent und eine geliebte und gleichzeitig gehasste Weltmarke sein. Die wenigen, die diesen eitlen, arroganten und egozentrischen Mann tatsächlich besser kennen, sagen, dass dieser CR7 vieles ist. Aber nicht eitel, arrogant und egozentrisch. Eher sozial, integrativ und sogar richtig nett. Er kümmere sich um neue Spieler, berichtete Ex-Real-Kollege Sami Khedira. Er kümmert sich um soziale Organisationen. Anders als Lionel Messi, Schwiegermamas Liebling, der Gute, der Dauerrivale, der Nette, kümmert er sich um seine Steuern. Und er kümmert sich vor allem um Kinder.
Allen Zweiflern sei empfohlen, einmal im Internet bei YouTube die Wörter Cristiano, Ronaldo und Kids hintereinander einzugeben. Was folgt, sind Zusammenschnitte mit den kitschigsten Ronaldo-der-Kinderfreund-Videos. Das alles ist selbstverständlich noch lange kein Beweis für die These, dass dieser auf den ersten Blick Arroganzling auf den zweiten Blick ein echter Menschenfreund ist. Doch wer sich mit der Lebensgeschichte Ronaldos näher beschäftigt, der wird weitere Belege finden. Der alleinerziehende Vater eines Sohnes, der sein ein und alles sein soll, ist ohne eigenen Vater aufgewachsen.
Ronaldos Vater war ein Alkoholiker, der die Liebe zu seinem Sohn erst entdeckt haben soll, als dieser schon als größtes Talent der Welt galt. Der Senior hat sogar ein Manchester-Trikot seines Sohns verkauft, um sich davon Alkohol zu kaufen. Und obwohl sich Ronaldo und sein Vater nie nahestanden, ließ der Fußballer den sterbenskranken Vater dennoch nach England einfliegen, damit er dort an der Leber operiert werden konnte. Anders als normalerweise auf dem Platz war Ronaldo in diesem einen Moment zu spät.
Selbstverständlich muss man den teuersten und bestverdienenden Fußballer dieses Sonnensystems aber nicht wegen seiner fast zu kitschigen Lebensgeschichte plötzlich mögen. Und auch das Gerede einiger Kollegen, dass dieser Ronaldo eigentlich ein ziemlich netter Kerl sein soll, muss nicht zum Meinungswechsel führen. Definitiv anerkennen sollte man allerdings, dass kaum ein Fußballer in diesem kranken Geschäft derart gewissenhaft seinem Job nachgeht. Ronaldo ist fleißig, strebsam, perfektionistisch.
Das Endspiel am Sonntag wird der 21. EM-Einsatz seiner Karriere sein. Niemand hat mehr. Insgesamt hat er neun EM-Tore geschossen. Keiner traf öfter. Und auch seine mittlerweile vier EM-Endrunden kann niemand toppen. Und um dieses Bild nun zu vervollständigen, fehlt nur noch eines: Der Freistoß-Cowboy müsste am Sonntag für den ersten Fußballtitel Portugals überhaupt sorgen. Ein Großteil Europas hat etwas dagegen, alle gegnerischen Fans im Stadion sowieso. Aber keiner hätte es mehr verdient als er, Ronaldo.