Die Aufregung um Gauland und andere Rechtspopulisten mag verständlich sein – dumm nur, dass sie die Partei eher stärkt.
Darf man einem Land eigentlich Beruhigungspillen verschreiben? Langsam wäre es nötig: Auf der einen Seite verbreitet die selbst ernannte „Alternative für Deutschland“ auf der Jagd nach Stimmen üble Stimmung, auf der anderen verlieren vermeintliche Antifaschisten im Kampf gegen diese AfD jede Beherrschung.
Seitdem Parteivize Alexander Gauland der „FAS“ ein Interview gegeben hat, hyperventiliert die halbe Republik. Darin äußerte sich der Alternativpolitiker zum Nationalspieler Jerome Boateng: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ Warum er das sagt? Offenbar möchte Gauland im Trüben fischen, bei Rassisten punkten und mit derlei Aussagen die Schmerzgrenzen weiter verschieben. Ein Rechtspopulist eben.
Daraus aber zu titeln, wie es die „FAS“ getan hat, „Gauland beleidigt Boateng“ ist unsauber. Streng genommen hat er „die Leute“ beleidigt. Wobei angesichts des grassierenden Alltagsrassismus in der Republik die These leider nicht einmal verkehrt sein muss. Aber inhaltlich wird kaum diskutiert. Hinauf bis zur Kanzlerin, die mit ihrer Politik ja die Geburtshelferin des Rechtsrucks ist, müssen alle ihre Abscheu und Empörung kundtun. Selbst kluge Menschen hetzen in Netzwerken gegen Gauland. Man darf bezweifeln, dass Hetze gegen Hetzer hilft.
Es drängt sich der Eindruck auf, dass im Falle Gauland einige Kommentatoren vor allem ihre eigene Liberalität herausstreichen möchten. Das ist gut gemeint, aber gut ist es nicht. Ganz im Gegenteil treibt es die 15 bis 25 Prozent, die derzeit vom Konsens in dieser Republik nach rechts abdriften, nur in die Arme der Populisten. Es ist wie in der Goethe-Ballade: „Halb zog sie ihn, halb sank er hin/Und ward nicht mehr gesehn.“ Mit immer wüsteren Breitseiten gegen die AfD schubst man Wankende noch.
Die AfD mit ihrem politischen Personal aus alten Männern und gestrigen Frauen besitzt nur begrenzt Möglichkeiten, Stimmen und Wähler zu gewinnen. Die besten Leute der AfD haben andere Parteibücher. Ralf Stegner (SPD) etwa, der wegen krasser Vorwürfe gegen die Partei schon eine einstweilige Verfügung kassierte, twittert: „Fakt bleibt, man muss Positionen und Personal der Rechtspopulisten attackieren, weil sie gestrig, intolerant, rechtsaußen und gefährlich sind!“ Was wäre los gewesen, hätte Gauland gefordert, das Personal der Gegner zu attackieren?
Die Aufregung um die AfD hat mitgeholfen, eine Partei zu erschaffen, die im Niemandsland zwischen Demokratie und Radikalismus irrlichtert. Als Lucke und Henkel noch die gemäßigtere AfD der Euro-Kritik führten, wurden sie mit Missachtung gestraft oder in die rechtsradikale Ecke gestellt. So wurden auch Leute ausgegrenzt, die nur konservativ, aber nie rechtsradikal sind. Diesen Fehler sollte man nicht wiederholen.
Die etablierten Parteien und die Öffentlichkeit sollten die AfD zwar weder auf die leichte Schulter nehmen noch sie unterschätzen. Aber Hysterie ist fehl am Platze – wir leben nicht in Weimar. Die plumpe Ausgrenzung ihrer Wähler und ihrer demokratisch gewählten Vertreter erreicht das Gegenteil des Gewünschten. Sie macht die AfD stärker. Sie kann sich als Opfer inszenieren, sie schließt ihre Reihen. Deshalb ist auch unklug, die AfD nicht in die Härtefallkommission der Bürgerschaft zu wählen, wie es früher gute demokratische Sitte war: Elfmal fielen die Kandidaten der Hamburger AfD bei den anderen Parteien durch – selbst bei FDP und CDU, den ehemaligen Koalitionspartnern der Schill-Partei. Nun muss das Oberlandesgericht entscheiden. Was wäre es für ein Triumph, wenn die AfD hier über die anderen Parteien obsiegte!
Die AfD und ihre Mandatsträger muss man inhaltlich stellen, ihren Populismus mit Fakten entzaubern, ihren Vorurteilen mit Tatsachen entgegentreten. Und sich kritisch hinterfragen, welchen Beitrag man selbst zum Aufstieg der AfD geleistet hat, durch Fehler oder Unterlassungen. Immerhin setzt sich bei den Klügeren diese Erkenntnis durch. „Leugnen, ignorieren, stigmatisieren: Das hat alles nicht funktioniert“, gesteht Thomas de Maizière ein. Und Olaf Scholz warnt, die AfD „zu dämonisieren“. Hoffentlich hören ihre Parteifreunde auf sie.