Kommission soll in Hamburg neue tödliche Gewalt verhindern helfen. Es wird höchste Zeit
Chantal. Yagmur. Tayler. Die Namen dieser durch Vernachlässigung und Gewalt ums Leben gekommenen Hamburger Kinder stehen für das Versagen des Kinderschutzes in dieser Stadt. Denn neben den unmittelbar Verantwortlichen in den Familien ist das staatliche System durch zum Teil eklatante Fehlentscheidungen aufgefallen. Der Staat ist nicht verantwortlich für den Tod dieser Kinder, er hätte ihn aber durch andere Entscheidungen verhindern können. Nun verhandeln Linke, SPD und Grüne über eine Enquete-Kommission, die Verbesserungen bringen soll.
Es wäre nicht das erste Gremium, welches sich damit auseinandersetzt. Es hat fruchtbare, oft auch schmerzhafte Aufarbeitungen gegeben. Bürgerschaft und Behörden sind seit Anfang 2012 nahezu im Dauereinsatz. Nach Chantals Methadontod sorgten der Sonderausschuss und die Sozialbehörde etwa für Verschärfungen bei der Zulassung von Pflegefamilien. Nachdem Yagmur Ende 2013 in ihrem Elternhaus umgebracht wurde, sorgte der Parlamentarische Untersuchungsausschuss unter anderem dafür, dass sich Justiz, Behörden, Bezirke und Mediziner besser miteinander vernetzen. Doch der Tod des kleinen Tayler im vergangenen Dezember hat gezeigt, dass all das nichts gebracht hat.
Dies liegt weniger an den Regeln selbst. Sie sind von einer solchen Schlichtheit und Logik, dass es eigentlich kein Vertun gibt. Beispielsweise dürfen Pflegekinder nur dann in ihre Familien zurückgeführt werden, wenn es eine Gefahrenanalyse gegeben hat und der zuständige Jugendamtsmitarbeiter sich mit den Kollegen abgestimmt hat. Auch gibt es mittlerweile mehr Personal. Dass Regeln nicht eingehalten werden, hat eher mit mangelnder Bereitschaft zu tun. Verantwortlich dafür sind die für die Jugendämter zuständigen Bezirksamtsleiter.
Trotz Chantal, Yagmur und Tayler scheint das Verhindern vermeidbaren Leids noch immer nicht auf die Agenda der Verwaltungschefs gelangt zu sein. Ein vorerst letztes Zeugnis dafür ist die Senatsantwort auf eine Große Anfrage des CDU-Familienpolitikers Philipp Heißner. Danach haben Jugendämter in mehr als der Hälfte aller Pflegefamilien Vorschriften nicht eingehalten. Angesichts der Geschehnisse der vergangenen Jahre ist das nicht weniger als ein handfester Skandal.
Und die Sozialbehörde? Die zieht sich darauf zurück, dass sie nur die Regeln aufstellen darf, aber keine Handhabe bei deren Einhaltung hat. Dienst- und Fachaufsicht liegen nicht in einer Hand. Das mag der bürokratischen Wirklichkeit entsprechen, sinnvoll oder nachvollziehbar ist es in keiner Weise. Eine Diskussion über diese Strukturen in der Enquete-Kommission sollte einer der zentralen Punkte sein und könnte über Erfolg oder Misserfolg der Kommission entscheiden.
Ohnehin bringt die Enquete sowohl Chancen als auch Gefahren mit sich. Einigen sich die Fraktionen auf das Zustandekommen dieses parlamentarischen Gremiums, besteht die Chance, sich tiefgründig mit der Jugendhilfe auseinanderzusetzen. Anders als im Untersuchungsausschuss geht es nicht in erster Linie um den politischen Fingerzeit auf die vermeintlich Schuldigen. Stattdessen können unter Mithilfe von Experten Lösungen für die Probleme in der Jugendhilfe gefunden werden.
Es besteht aber auch die Gefahr der Stagnation. So könnten wichtige Entscheidungen im Bereich des Pflegekinderwesens für die Dauer der Enquete aufgeschoben werden, weil man dem Ergebnis des Gremiums nicht vorgreifen will. Am Ende darf sich die Kommission nicht als Bremsklotz für das Kindeswohl erweisen. Dafür tragen alle Parlamentarier Verantwortung.