Eine Übernahmewelle erfasst den deutschen Maschinenbau. Der heimischen Wirtschaft droht ein Wissensverlust
Ein Thema darf derzeit in keiner Sonntagsrede von Politikern fehlen, die demonstrieren wollen, dass sie im 21. Jahrhundert angekommen sind: das Thema „Industrie 4.0“. Nun sollte jeder Bürger skeptisch werden, wenn Schlagworte noch eine Hausnummer bekommen. Oft geht es dann mehr um PR und weniger um Inhalte. Aber das Thema Digitalisierung der Industrie, die Vernetzung von Maschinen mittels modernster Informationstechnik, ist eine Überlebensfrage für die deutsche Volkswirtschaft. Sie gründet wie kaum eine andere auf den Erfolg des Maschinenbaus. Große Unternehmen, aber auch pfiffige Mittelständler, waren stets Technologieführer. Zwar mögen die Produkte des 21. Jahrhunderts – ob Solarzellen, LED oder iPhones – längst in Fernost hergestellt werden, die Maschinen für ihre Produktion aber stammen oft aus Deutschland.
Noch.
Denn seit einigen Monaten schwappt eine Übernahmewelle durch den deutschen Maschinenbau, der jeden mit zehn Cent Verstand das Fürchten lehren muss. Natürlich sind Firmenkäufe oder Fusionen das täglich Brot im Kapitalismus, nur dieses Mal kaufen ganz besondere Kapitalisten: Es sind chinesische Fonds oder Staatsbetriebe. Am Montag kündigte der Investmentfonds Fujian Grand Chip den Kauf des Aachener Maschinenbauers Aixtron an. Das Unternehmen durfte lange in keiner Erfolgsbilanz fehlen, wenn es darum ging, deutsche Ingenieurskunst zu feiern. Hervorgegangen aus einem Spin-off der Technischen Hochschule Aachen ist das Unternehmen führend im Bau von Chipanlagen zur Herstellung von LED. Dieses Wissen macht bald in China fest.
Eine Woche zuvor hatten Chinesen den Kauf von Kuka gemeldet. Der MDAX-Wert ist führend in der Fertigung ganzer vollautomatisierter Roboterstraßen. Und in derselben Woche erhöhte der innovative Maschinenbau Manz sein Kapital, um den Einstieg des Mischkonzerns Shanghai Electrics zu ermöglichen. Manz stellt Maschinen für die iPhone-Produktion her und für Solarzellen. Zuvor waren schon die Maschinenbauer Krauss-Maffai, Kion und Putzmeister und das Solarunternehmen Sunways aufgekauft worden. Wie sinnvoll dieser Übernahmereigen für die deutsche Volkswirtschaft ist, muss jeder selber beurteilen. Freiheit im Handel ist ein hohes Gut, aber dann müssen einheitliche Spielregeln gelten. Diese sind im Handel mit China verzerrt: Während deutsche Unternehmen dort auf Einschränkungen, Reglementierungen und Zwangsvorschriften stoßen, geben wir bei uns den Wettbewerb frei. Man stelle sich vor, eine deutsche Firma wolle sich in China einen Weltmarktführer von morgen kaufen. Viel Spaß!
Wie anders die Uhren in China und der dortigen Wirtschaft ticken, zeigt ein Blick auf ein schlechtes Dutzend chinesischer „Weltmarktführer“, die in Deutschland an die Börse gegangen sind. Dagegen war der skandalumtoste Neue Markt ein Kaffeekränzchen von Betschwestern – ausnahmslos waren hier mehr oder minder betrügerische Firmen am Werk, mit dem Ziel, deutschen Kleinanlegern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Weder die hiesige Börsenaufsicht noch die chinesischen Behörden unterbanden das Treiben. Dass der Ruf der kommunistischen Raubtierkapitalisten so schlecht ist, hat mit Vorurteilen, aber auch mit Urteilen zu tun.
Sorgen um das deutsche Know-how, oft mit Steuergeldern geschaffen, müssen erlaubt sein. Warum interessieren sich Chinesen so sehr für deutsche Innovationen? Weil das Land von der Werkbank der Welt zum Technologieführer aufsteigen will. Nach bald drei Jahrzehnten Aufschwung sollte niemand so dumm sein, China zu unterschätzen. Es geht um mehr als um Shareholder Value oder Gewinne, es geht um Macht: Das Reich der Mitte ist ein tönerner Riese, es ist zum Wachstum verdammt, um das Land innenpolitisch stabil zu halten. Sollte die Konjunktur einbrechen, drohen Verwerfungen.
Der Kauf von Wissen, Patenten und Kompetenzen ist mehr als ein üblicher Austausch, er könnte ein Braindrain zum Schaden der Bundesrepublik werden. Die Politik ist gut beraten, die Industrie 4.0 im Lande zu halten. Das ist kein Protektionismus, das ist Strukturpolitik.