Nicht einmal mehr als 20 Prozent trauen Demoskopen den Sozialdemokraten zu. Das hat diese stolze Partei nicht verdient.

Es sind die Meldungen eines Tages, die auf den ersten Blick nichts mit­ein­ander zu tun haben und doch Zustand und Befindlichkeit der SPD besser beschreiben als große Grundsatzanalysen. Am Montag wurde eine Insa-Umfrage publik, welche die Sozialdemokratie erstmals unter 20 Prozent taxierte. Und womit geht die SPD an diesem Tag in die Offensive? Mit, kein Scherz, einem Verbot für Sexismus in der Werbung. Um offenbar bei astreinen Asta-Aktivisten oder radikalen Religionspolizisten ein paar Stimmen zu sammeln, möchte Justizminister Heiko Maas ein Verbot von „geschlechterdiskriminierender Werbung“. Das Dekolleté zu tief, der Slogan zu schlüpfrig, die Blondinen zu üppig? Die SPD kümmert sich! Und warum? Wegen der Kölner Ausschreitungen, als Zuwanderer in der Neujahrsnacht massenhaft Frauen belästigten. Offenbar denkt die SPD, die Reklame sei schuld gewesen.

Man kann das Verbot als Groteske, als Lappalie abtun – aber es zeigt, wie arg die SPD aus der Spur geraten ist. Es offenbart das ganze Elend der Partei. Das schleichende Gift der wöchentlichen Umfragen hat sich in den Körper der Partei gefressen, in Köpfe, Flügel, in das Herz. Die SPD ist schwer verunsichert, die Wähler trauen ihr immer weniger, und damit wachsen die Selbstzweifel. Panik greift um sich. Nun richtet sich die destruktive Kraft gegen den Vorsitzenden. Sigmar Gabriel macht als Wirtschaftsminister und Parteichef einen guten Job – aber wer kann es ihm danken, wer wahrnehmen, wenn die Demoskopen immer schlimmere Zahlen veröffentlichen? So verzagt, so suchend, so mit sich selbst beschäftigt sah man die Sozialdemokraten selten. Wer irrt, kommt vom Pfad ab – siehe Sexismus-Vorstoß. Das muss man erst einmal schaffen, sich mit einer Schnapsidee die Sympathie aller Werber zu verscherzen – und sich in der breiten Bevölkerung lächerlich zu machen.

Aber es passt zur neuen SPD, die weder Volkspartei ist noch länger Volkspartei sein möchte: Viele Funktionäre unterscheiden sich nur marginal von ihren Kollegen der Grünen oder der Linkspartei – sie verstehen viel von Gender Mainstreaming, aber nichts von Ortsvereinen; sie kennen große Theorien, aber nicht die kleinen Leute; sie sind so politisch korrekt wie politisch erfolglos. Die SPD kann wunderbar über ihr Personal streiten, über die wirklich wichtigen Themen aber debattiert sie zu wenig. Der politische Aderlass der vergangenen Jahrzehnte ist dramatisch, die Breite der Partei zur intellektuellen Enge geschrumpft. Oskar Lafontaine verloren an die Linke, Wolfgang Clement vertrieben. Und Thilo Sarrazin an den Rand gedrängt. Dessen umstrittene Thesen zur Integration hätte eine kluge SPD zumindest diskutiert und nicht gleich verboten – es hätte übrigens auch der AfD vorbeugen können.

Es machte stets den Glanz der Sozialdemokratie aus, dass sie viele Ideen, viele Strömungen und Schichten in sich vereint hat. Sie hat leidenschaftlich gestritten und leidenschaftlich Politik fürs Land gemacht. Sie steht wie keine andere Partei für die Durchsetzung von Arbeiterrechten, für Gleichberechtigung, für die Grundrechte. Sie stand als letzte Partei zur Demokratie, als die Nazis am 23. März 1933 den Weg in die Diktatur ebneten. Sie widerstand den Lockrufen der Kommunisten, sie versöhnte Gewerkschaften mit der Marktwirtschaft, sie war ein Stützpfeiler der jungen Bundesrepublik. Willy Brandt öffnete das Land, eine liberale Bildungspolitik ermöglichte Zehntausenden Kindern aus bildungsfernen Schichten den Aufstieg. Helmut Schmidt hielt gegen alle Widerstände an der Nachrüstung fest, Gerhard Schröder an den mutigen Wirtschaftsreformen der Agenda 2010.

Angesichts dieses Glanzes sich so ins Elend zu stürzen, das muss man erst einmal schaffen.

Die SPD war immer eine Partei des „Wir schaffen das“ – statt aber sich selbst zu schaffen, sollte sie die Herausforderungen der Zukunft meistern: Ob Integration, der radikale Wandel der Arbeitswelt, die Globalisierung oder die Sicherung des Sozialstaates – das alles wird nur mit der SPD gelingen. Vielleicht sogar nur ihr.