Flüchtlingskrise repolitisiert die Deutschen: Hohe Beteiligung an drei Landtagswahlen
Nein, dieser Wahlsonntag war kein guter Tag für die Demokratie, er war ein sehr guter Tag. Denn die Demokratie hat gezeigt, dass sie funktioniert, gerade in schwierigen Zeiten wie diesen. Die klare Mehrheit der Menschen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt hat das getan, was man als Bürger einer Gesellschaft wie der unsrigen tun sollte: Sie ist wählen gegangen – und wie. Während normalerweise in Leitartikeln nach Wahlen die ständige sinkende Wahlbeteiligung kritisiert, ja betrauert wird, können wir uns diesmal über zum Teil gigantische Steigerungen freuen. Ja, viele ehemalige Nichtwähler sind aus Protest (gegen die Flüchtlingspolitik) wieder zu Wählern geworden. Die These, dass die Flüchtlingskrise die Deutschen repolitisiert hat, ist eindrucksvoll bewiesen worden.
Wer aber geglaubt hatte, aus den drei Wahlen eine Abstimmung über Angela Merkels „Wir schaffen das“ ableiten zu können, sieht sich getäuscht. Dafür sind die Ergebnisse zu uneinheitlich: In Baden-Württemberg siegt mit Winfried Kretschmann der Kandidat, der wie kein anderer den Kurs der Kanzlerin gelobt hat. In Sachsen-Anhalt bleibt Merkels CDU stärkste Partei, in Rheinland-Pfalz gewinnt überraschend deutlich die SPD. Überall ist die Alternative für Deutschland (AfD) erfolgreich, aber auch das ist nichts Besonderes angesichts der politischen Ausnahmestimmung, die in der Republik herrscht und die selbst Freunde und Familien entzweit. Die AfD ist die Partei des Protestes, wie es einst die Schill-Partei in Hamburg war. Ihre Ergebnisse gefallen nicht allen, vor allem den etablierten Parteien nicht, und ihr Aufstieg ist atemberaubend. Angst machen muss er aber niemanden. Die AfD wird nun Politik inner- statt außerhalb der Parlamente machen müssen. Was deutlich schwieriger und zugleich disziplinierend ist. Soll heißen: Es ist gut, dass die Protest-Partei sich nun auf der eigentlichen Bühne der Demokratie stellen muss.
Das wird spannend, genauso wie die Regierungsbildungen in den Ländern: Auf einmal sind Bündnisse möglich, die es so noch nie oder sehr selten gegeben hat, vor allem Dreierkonstellationen. Für den Moment wird man sich in Deutschland daran gewöhnen müssen, weil die eine große Volkspartei, die SPD, so schwächelt. Vor allem ihrem Niedergang ist es geschuldet, dass eine große Koalition nicht mehr automatisch möglich ist. Das muss und wird der SPD trotz des Erfolgs zu denken geben, insbesondere, weil der Trend eindeutig nach unten zeigt. Übrigens unabhängig davon, dass Sozialdemokraten in vielen Regierungsbeteiligungen gute Arbeit machen.
Zum Beispiel in Hamburg, wo die Grünen natürlich auch den sensationellen Erfolg ihres Parteifreundes Kretschmann feiern. Von seinem historischen Ergebnis darf man sich aber nicht täuschen lassen: Dies ist nicht der Sieg der Grünen und schon gar nicht ihr Aufstieg zur Volkspartei. Dies ist der Triumph eines Politikers, der in einer Person verschiedene Politikstile vereint. Kretschmann ist, wenn man so will, das erste erfolgreiche grün-schwarze Experiment in einem Bundesland. Über seinen Erfolg wird sich deshalb auch, natürlich heimlich, die Bundeskanzlerin freuen. Denn eine Verbindung zwischen Schwarz und Grün könnte nach der nächsten Bundestagswahl das sein, was ihr eine weitere Legislaturperiode beschert. Wobei: Selbst die FDP schickt sich trotz starker Konkurrenz von rechts an, wieder eine Partei zu werden, auf die man achten muss. Wie gesagt: Es war ein sehr guter Sonntag für die Demokratie.