Die Bürgerschaft will attraktiver werden – gut. Aber sie muss auch professioneller werden.
Die 121 Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft wählen den Ersten Bürgermeister und die Senatoren, sie stellen den Haushalt des Stadtstaats auf und bestimmen so, wie viele Lehrer und Polizeibeamte es gibt.
Mit anderen Worten: Für das Funktionieren des Gemeinwesens ist die Bürgerschaft buchstäblich entscheidend. Das Problem ist nur: Vielen Hamburgern scheint das nicht mehr so geläufig zu sein. Und mindestens ebenso schlimm: Zu vielen scheint es egal zu sein, welche Entscheidungen das Landesparlament trifft. Dieser Schluss liegt jedenfalls nahe angesichts einer Wahlbeteiligung, die zuletzt 2015 auf den historischen Tiefstand von 56,5 Prozent abgesackt ist. Lebendige Demokratie lebt von Beteiligung, und das bedeutet heute längst mehr, als nur alle fünf Jahre seine Stimme abzugeben. Nur genau das bedeutet es eben auch.
Nun ist Hamburg kein Einzelfall, auch andere Länder und noch mehr die Kommunen klagen über den Rückgang des Wählerinteresses. Die Bürgerschaft macht sich also zu Recht Gedanken darüber, wie ihre Arbeit öffentlich stärker wahrgenommen werden kann. Die Debatte, der Meinungsstreit in der Bürgerschaft ist gewissermaßen der Herzschlag der repräsentativen Demokratie. Sieht man einmal von Highlights wie der Wahl des Bürgermeisters oder Topthemen wie der Flüchtlingskrise ab, dann finden die Diskussionen sehr häufig unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das schließt übrigens die meisten Medien ein, das sei ehrlicherweise hinzugefügt.
Dabei gilt: An der öffentlichen Diskussion politischer Streitfälle – seien es neue Radwege, ein Wohnungsbauprojekt oder der deutliche Anstieg der Einbruchszahlen – ist gar kein Mangel. Die Parteien und Fraktionen warten auch nicht bis zur nächsten Sitzung der Bürgerschaft; sie melden sich sofort zu Wort, und wir, die Medien, berichten darüber. Es gibt also vielleicht gar kein generelles Desinteresse an der Politik, sondern eher an den demokratischen Institutionen.
Die Bürgerschaft überlegt nun, ihre Sitzungen statt um 15 Uhr schon um 14 oder sogar 13 Uhr beginnen zu lassen, die Redezeiten zu verkürzen, um den Schlagabtausch peppiger zu machen, oder eine Bürgermeister-Fragestunde einzuführen, um den mächtigsten Mann im Stadtstaat direkt ins Kreuzfeuer zu nehmen. Das sind ehrenwerte Ansätze, das grundsätzliche Problem wird so kaum zu lösen sein.
Als vor einigen Jahren in Hamburg Wahlkreise eingeführt wurden, galt das als ein Schlüssel zu mehr Bürgernähe. In gewisser Hinsicht ist das aufgegangen, wenngleich auch richtig ist, dass Abgeordnete – um ihre Wiederwahl besorgt – bisweilen ihren Sprengel mehr vor Augen haben als das große Ganze. Der Weg ist dennoch richtig. Wenn die Bürger nicht zur Politik kommen, dann muss die Politik eben zu den Bürgern gehen. Das gilt auch für die Durchführung von Wahlen. Warum nicht über flexiblere Wahltermine nachdenken und die Möglichkeit zur bequemen Online-Abstimmung?
Letztlich geht es aber auch um die Qualität parlamentarischer Debatten und Entscheidungen. Heute gibt es ein Übergewicht der Exekutive über die Legislative. In Behörden und Ministerien sitzt die Expertise, werden Gutachten und Studien vergeben. Angesichts der Komplexität politischer Entscheidungen bleibt den Parlamenten häufig nur noch der eilige Nachvollzug. Hier muss „Waffengleichheit“ angestrebt und mehr Professionalität erreicht werden. Ein wissenschaftlicher Dienst für die Bürgerschaft ist eine ebenso sinnvolle Idee wie die Möglichkeit für das Parlament, selbst unabhängige Gutachter zu beauftragen. Sage keiner, dass gute Demokratie billig sein muss.