Europas längste Villenstraße wird gesichtslos
Die Elbchaussee ist einzigartig – auf fast neun Kilometern erzählt sie Hamburger Geschichte: Reeder und Kaufleute setzten sich mit aufwendigen Villen und Herrenhäusern ein Denkmal und prägten eine Prachtstraße, auf die viele Hamburger stolz sind. Doch die Chaussee leidet. Der Zahn der Zeit knabbert an vielen Gebäuden und beißt immer mehr Lücken in das Gesamtkunstwerk. Wo einst Villen standen, entstehen Lofts und Luxuswohnungen für Besserverdienende. Das Austauschbare verdrängt das Einzigartige, die Elbchaussee wird gesichtslos, geschichtslos.
Die Politik kann oft nur zuschauen, weil es sich um Privatbesitz handelt: Wenn der Besitzer einer Villa stirbt, beginnen die Probleme. Mangels Interessenten ist ein Verkauf der Liebhaberstücke schwierig – allein die Steuer zwingt manche Erben zum Verkauf. Immobilienentwickler aber warten nur darauf, die Grundstücke zu parzellieren und mit renditestarken Klötzen zu bebauen. Da helfen auch gut gemeinte Erhaltungsverordnungen oder der Denkmalschutz nur bedingt weiter.
Zur Not hilft Nichtstun. Ein Loch im Dach, Feuchtigkeit und Frost, Pilz im Mauerwerk – das Hamburger Wetter ist ein treuer Verbündeter des Verfalls. Und die Abrissbirne schwingt munter weiter. Erst im Sommer 2014 verschwand die Jugendstilvilla an der Elbchaussee 359, etwas hochtrabend das „Weiße Haus von Nienstedten“ genannt. Hier entsteht nun ein moderner Neubau.
Der Wandel geht oft so schleichend voran, dass er unterhalb der Bewusstseinsschwelle bleibt. Erst wenn es zu spät ist, formiert sich Widerstand. Die Behörden müssen sich angesichts der Sünden der Vergangenheit durchaus kritische Fragen gefallen lassen: Stehen wirklich alle stadtbildprägenden Gebäude unter Denkmalschutz? Schrecken die Strafen gegen den strategischen Verfall wirklich ab? Und kümmern sich die Behörden ausreichend um den Erhalt? An der Elbchaussee spotten einige, dass man leichter eine Villa abreißen als einen Baum fällen kann.
Der Dichter Detlev von Liliencron nannte die Elbchaussee einst die „schönste Straße der Welt“. Viel Zeit bleibt nicht, diesen Ruf zu retten.