Die Grenze der Macht: Es geht nur mit den Bürgern

So bescheiden, ja beinahe kleinlaut hat man Hamburgs Ersten Bürgermeister Olaf Scholz, dem es generell ja nicht an Selbstbewusstsein fehlt, bislang kaum erlebt. Die Unterbringung von möglicherweise 40.000 weiteren Flüchtlingen im Laufe dieses Jahres in der Stadt sei „keine leichte Sache“. Es sei Senat und Verwaltung auch „noch nicht gelungen, genügend neue Plätze zu finden“, räumte Scholz ungewohnt selbstkritisch ein.

Und deswegen sollen jetzt alle, oder wenigstens möglichst viele Bürger mithelfen, das Puzzle gerechter Verteilung zu lösen. „Gemeinsam, gemeinsam!“, ruft der SPD-Politiker, der einst sagte und danach auch meist handelt: „Wer Führung bestellt, bekommt sie!“

Was ist passiert? Der Bürgermeister hat beim komplexen und hochemotionalen Thema der Flüchtlingsunterbringung die Grenzen seiner Macht erfahren. Das ist nicht zum ersten Mal der Fall – Netzerückkauf und Olympia-Bewerbung sind zwei Stichworte –, aber zum ersten Mal redet er offen darüber. Scholz hat erkannt, dass er die Quartiere für die nach Zehntausenden zählenden Geflüchteten nicht gegen den Willen der hier lebenden Menschen durchsetzen kann. Nebenbei: Es wäre auch nicht gut, wenn er es könnte, weil genau das – die Festlegung der Standorte „von oben“ – den sozialen Frieden vor Ort gefährden würde.

Es ist erst ein paar Monate her, dass der rot-grüne Senat und die beteiligten Behörden versuchten, die Unterkünfte für die immer größere Zahl von Flüchtlingen, die nach Hamburg kommen und von denen etliche hier bleiben, mit der Brechstange durchzusetzen: erst mit dem Polizeirecht, dann mit dem geänderten Baurecht. Aber ein ums andere Mal haben Gerichte die Politik gestoppt und zugunsten klagender Anwohner entschieden, denen in der Regel die geplanten Quartiere für die Zuwanderer schlicht zu groß waren.

Schließlich hat die Volksinitiative gegen Großunterkünfte den Druck auf Scholz und die rot-grüne Koalition erheblich erhöht, weil sie in kurzer Zeit sehr viele Unterstützer-Unterschriften gesammelt hat und absehbar mit einem Volksentscheid drohen kann. Volksentscheide hat der Senat – egal welcher Farbe – fast immer verloren. Viele glauben wohl zu Recht, dass das bei dem Thema Flüchtlingsquartiere, das in das unmittelbare Lebensumfeld der Menschen eingreift, nicht anders wäre.

Realpolitiker Scholz handelt jetzt nach dem Prinzip: „Wenn du sie nicht besiegen kannst, dann verbünde dich mit ihnen!“ Das faszinierende interaktive Datenmodell City Scope, das an der HafenCity Universität entstanden ist und nun zum Einsatz kommen soll, eröffnet in der Tat die Möglichkeit zu gemeinsamen Planungen. City Scope sammelt die verfügbaren Informationen über alle Flächen, die größer als 1000 Quadratmeter sind. Es ist eine Art Faktencheck für die Standortsuche, bei der die Verwaltung allerdings den Rahmen setzt und die Ausschlusskriterien wie Natur- und Lärmschutz oder geplanten Wohnungsbau vorgibt. Aber es ist auch ein Programm gesamtstädtischer Verantwortung, über dem die Zielzahl von 40.000 Plätzen steht.

Scholz’ Einladung, sich nun aktiv an den konkreten Planungen zu beteiligen, ist jedenfalls für die Volksinitiative nicht das erwartete Gespräch auf Augenhöhe mit dem Senat. Es ist vielmehr die Aufforderung an alle mitzumachen.

Das ist wiederum ziemlich clever, denn wer wollte etwas gegen eine breite Bürgerbeteiligung sagen? Voraussetzung für den Erfolg dieses Instruments ist, dass möglichst viele es nutzen und neue Ideen auch wirklich berücksichtigt werden. Wenn das gelingt, kann das City Scope ein Modell für die künftige Stadtentwicklung sein, die immer unter dem Diktat knapper Flächen und konkurrierender Interessen steht.