Auch wenn einige Fans auf Optimismus machen: In Hamburg geht längst die Angst vor einem Triple um – dem in der Relegation. Bruno, hilf!
Kai Schiller
Genau eine Woche ist es her, als HSV-Anhänger Sascha Rebiger das Gefühl hatte, dass es so einfach nicht weitergehen konnte. Das Trainingslager in Belek war ziemlich mies gelaufen, das Auftaktspiel gegen die Bayern ging mit 1:2 verloren, und auch auf dem Transfermarkt holte sich der HSV einen Korb nach dem nächsten. In so einer Situation muss man kreativ sein. Rebiger erfand kurzerhand den Twitteraccount „WunderbarerHSV“ mit einem relativ simplen Versprechen: ausschließlich gute Nachrichten vom HSV. „Egal wie schlecht sie sind. Was nicht passt, wird passend gemacht“, zwitscherte Rebiger und ließ bereits am ersten Wochenende Taten folgen. Einen Tag nach der miserablen Pleite des HSV gegen den VfB Stuttgart, der in der Tabelle auf Platz 15 kletterte, twitterte der Fan: „Durch die knappe 1:2-Niederlage des HSV in Stuttgart rutscht Werder Bremen wieder auf den Relegationsplatz zurück.“
Rebigers humorvolles Pippi-Langstrumpf-Prinzip („Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt“) kommt an. Nach einer knappen Woche hat der HSV-Fan bereits mehr als 100 Follower – und vor allem jede Menge schlechte Nachrichten, die passend gemacht werden müssen: leere Kassen, fünf sieglose Spiele in Folge, der E-Mail-Streit um den in letzter Minute geplatzten Wechsel von Sekou Sanogo und seit gestern auch noch die Kopfnuss-Affäre um Ivo Ilicevic (Seite 21).
In der virtuellen Welt ist Rebigers spaßiger „WunderbarerHSV“ ein Hit, in der analogen Welt gibt der reale HSV Grund zur Sorge. Und zwar ganz im Ernst. Denn tatsächlich liegt der Bundesliga-Dino nach 19 Spieltagen nur noch drei Punkte vor dem mehr oder weniger lieb gewonnenen Relegationsplatz 16. Und wenn das nicht schon besorgniserregend genug wäre, logiert derzeit – wie „WunderbarerHSV“-Fan Rebiger ganz richtig bemerkte – ausgerechnet ein alter Bekannter auf jenem Platz 16: Werder Bremen.
Zwei Jahre in Folge rettete der HSV nur über die Relegation die Bundesligazugehörigkeit – doch dreimal ist bekanntlich kein Hamburger Recht. Während Bayern mit dem scheidenden Pep Guardiola in dieser Saison alles für das erhoffte Triple (Meisterschaft, Pokalsieg, Champions-League-Sieg) macht, will man in Hamburg unter allen Umständen das eigene Triple (dreimal in Folge Relegation) verhindern. Die entscheidenden beiden Fragen lauten nun: Hat dieser HSV aus den vergangenen zwei Jahren wirklich nichts gelernt? Und: Muss man etwa schon wieder zittern?
Die Antwort auf beide Fragen ist vor dem Heimspiel gegen den 1. FC Köln ein überzeugendes, eindeutiges und vielsagendes – Jein!
Ganz im Sinne von HSV-Optimist Rebiger soll an dieser Stelle zunächst mal das Mutmachende – oder besser: der Mutmachende – benannt werden: Trainer Bruno Labbadia. Dem Coach, der den HSV im vergangenen Jahr vor dem fast sicheren Abstieg bewahrt hat, ist Ähnliches auch in diesem Jahr zuzutrauen. Labbadia ist fleißig, authentisch und definitiv kompetent. Für Hamburger Verhältnisse unüblich ist er aber vor allem eines: nicht vom Rauswurf bedroht.
Das ist richtig und wichtig, weil sich der seit fünf Spielen sieglose HSV eine Trainerdiskussion unter keinen Umständen erlauben kann. Die Herausforderungen in dieser Spielzeit sind auch so groß genug. Und an dieser Stelle muss – Daueroptimist Rebiger zum Trotz – nun der zweite, nicht so schöne Teil des Jeins stehen: Trotz des erneuten finanziellen Kraftakts im vergangenen Sommer ist auch in dieser Saison kein homogener HSV-Kader zu erkennen. Bestes Beispiel hierfür ist Stürmer Sven Schipplock, der für mehr als zwei Millionen Euro im Sommer geholt wurde, kein einziges Tor erzielte und nun, nach den Notverpflichtungen am letzten Tag der Transferfrist, keine Rolle mehr spielen dürfte. Eine strategische Planung sieht anders aus. Und diese Liste könnte auch noch beliebig fortgesetzt werden – wird sie im Sinne des „WunderbarerHSV“ aber nicht. Der hatte am Donnerstag auch den kreativsten Kommentar zur Kopfnuss von Ilicevic (1,74 Meter) an Michael Gregoritsch (1,93 Meter): „Top! Ivo kann höher springen als geahnt!“