... dann sind wir im Zweifel in Eppendorf oder Altona. Von Tieren in der Stadt und den Missverständnissen in der etwas anderen Wildnis

Ein Freund ist im vergangenen Jahr umgezogen und guckt jetzt von seinem Schreibtisch aus auf einen grünen Hinterhof in Eimsbüttel. Seitdem kommt er kaum zum Arbeiten, sagt er: Im Hof spielt sich oft großes Eichhörnchen-Kino ab. Die roten Flitzer graben ihre Wintervorräte aus, wobei sie von Amseln, Elstern und Krähen gestört werden, die sich hier selbst bedienen wollen. Dramatische Verfolgungsjagden, lautstarke Proteste der Eichhörnchen, dämonische Raubzüge großer dunkler Vögel – alles, was man für einen Actionthriller braucht, ist dabei. Bloß die Musik fehlt noch.

Die meisten Stadtmenschen freuen sich über die Nachbarschaft mit Tieren. Wenn man selbst nicht gerade Marder auf dem Dachboden oder Wildschweine im Garten hat, findet man es irgendwie gut, dass die Stadt auch vielen Wildtieren als Lebensraum dient. Summende Hummeln, streitlustige Spatzen, sogar die Parkkaninchen wirken beruhigend und entsprechen unserer Vorstellung von einer ökologisch vernünftig organisierten Stadt. TV-Sendungen wie „Wildes Hamburg“, „Wildes Berlin“ oder „Wildes London“ sind ungemein beliebt und werden immer wieder gezeigt. Da rumpelt etwa ein Dachs durch ein Berliner Treppenhaus – es ist Dachsen ja auch im Wald nicht gegeben, leise zu sein. Ein Fuchs legt sich vor dem Kanzleramt in die Sonne. Auf dem Wannsee lässt der Fährmann einem Biber die Vorfahrt, auch wenn der von Backbord kommt.

In Hamburg tollen Fuchskinder auf einer Brache im Freihafen. Mitten in Altona sitzt ein Fuchs unter dem Rhododendron eines Herrn Wulf. In Eppendorf muss die Feuerwehr einen ansässigen Waschbär von einem Baum retten, auf den er wegen eines Silvesterböllers geflohen war. Und natürlich immer wieder: die Wildschweine. Durchqueren Volksdorf, ohne sich an die Straßenverkehrsordnung zu halten. Im Mai 2012 herrschte sogar in der City Alarm: In den Morgenstunden hielten Wildschweine, die nahe der Alster entdeckt wurden. zahlreiche Einsatzkräfte auf Trab. Ein Teil der Rotte mischte die Johns­allee und den Innocentiapark in Harvestehude auf, während der Rest sich via Dammtor und Kunsthalle bis zur HafenCity vorarbeitete und dann verschwand.

Bei Mensch und Wildtier ist es ähnlich wie bei Männern und Frauen: Sie passen nicht wirklich zueinander, wie schon Loriot bemerkte. Zwar nötigt uns Bewunderung ab, wie pfiffig sich Wildtiere oft in einer steinernen, asphaltierten Stadtumgebung einrichten. Dass sie dabei auch Fehler machen, manchmal tödliche, weil die Stadt natürlich nicht artgerecht ist, vergisst man aber leicht.

Ich erinnere mich noch an den Steinmarder, der 2004 im Elbtunnel festsaß und einen Zwölf-Kilometer-Stau verursachte. Nach der Sperrung durchkämmten zwölf Beamte mit Decken und Eimern die dritte Tunnelröhre, bis sie den Marder ausgerechnet im Gerätewagen der Feuerwehr entdeckten. Man soll Tiere nicht vermenschlichen, aber ich denke, der kleine Kerl fand diese Tunneljagd nicht witzig.

Viele ungewöhnliche Tiergeschichten in Stadt und Land, die eher unter die Rubrik „Überlebenskunst“ gehören, werden mit niedlichen Namen zugekleistert und vermenschlicht.

So hört man immer wieder von Kühen, die Frischlinge adoptieren, sie sauberlecken und wärmen. Zwei dieser Frischlinge im Landkreis Göttingen wurden Johann und Friederike genannt. Auf einem Gnadenhof in Brandenburg wurden sechs verwaiste Frischlinge (die glücklicherweise namenlos blieben) von einer glubschäugigen Bulldogge namens Baby adoptiert.

Hunde adoptieren sowieso gerne, und hier verschränken sich Stadt & Land, Haus- & Wildtier: In Australien ziehen Hundedamen häufig verwaiste Opossums auf und entwickeln sogar teilweise Milch. Ein Jack-Russell-Rüde in Deutschland namens Killer behütet hingebungsvoll ein Eichhörnchenbaby. Sein Verhalten erklärt sich die Besitzerin damit, dass Killer zusammen mit einem Hamster aufwuchs, den er auch schon bewacht habe.

Adoptionen einer anderen Art sind offenbar ein funktionierendes Konzept unter Säugetieren. Toll! Aber was passiert, wenn die Frischlinge irgendwann entdecken, wie doof Kühe sind?