In der Hafenkrise darf Hamburg nicht nur auf die maritime Wirtschaft setzen. Ein Plan B ist nötiger denn je.
Die Geschichte, sagte einst der französische Schriftsteller Henry de Montherlant, ist das gleiche Stück mit unterschiedlicher Rollenbesetzung. Möglicherweise fühlen sich auch einige im Hafen so. In den 80er-Jahren war die Krise an der Elbe zu Hause: Die Umschläge sanken, der Hafen fiel auf Rang fünf in Europa zurück, er wurde als „rostiger Jubilar“ verspottet, seine unermüdlichen Fürsprecher als Männer von vorgestern. Die geplante Hafenerweiterung in Altenwerder hielten nicht wenige für Irrsinn. Selbst in der Senatskanzlei arbeitete man längst an einem Plan B für die Hansestadt.
Vielleicht sollte sich Bürgermeister Olaf Scholz einmal bei Klaus von Dohnanyi nach den alten Plänen erkundigen. Denn der märchenhafte Aufstieg des Hamburger Hafens nach dem Mauerfall ist vorbei, heute regiert wieder die Krise: Die Elbvertiefung wurde 2006 beantragt und ist fast zehn Jahre später nicht einen Millimeter vorangekommen – ganz im Gegenteil. Inzwischen verschlicken wegen Missmanagements Kaianlagen und Fahrwasser weiter. Die wichtigsten Märkte der Stadt, China und Russland, schwächeln: Der Hamburger Hafen hat 2015 rund neun Prozent seines Containerumschlags verloren, während die Häfen in Rotterdam und Antwerpen enteilen. Die Krise der HSH Nordbank und ihre Kollateralschäden für die heimische maritime Wirtschaft sind noch nicht einmal absehbar, geben aber zu schlimmen Befürchtungen Anlass. Der Zustand der Hamburger Schlüsselbranche lässt sich auch auf dem Kurszettel ablesen: Die Aktie des Hafenlogistik-Konzerns HHLA hat sich seit ihrem Höchststand 2007 gefünftelt, die Reederei Hapag-Lloyd notiert unter dem ohnehin niedrigen Ausgabekurs von 20 Euro. Das Unternehmen verkleinert nun seine Flotte. Und damit deutet sich an, dass die Branche insgesamt vor Herausforderungen steht, welche die strukturellen wie konjunkturellen Probleme des Hamburger Hafens noch übersteigen. Inzwischen wächst der Welthandel langsamer als die Weltwirtschaft und stellt damit alte Regeln auf den Kopf, der „Spiegel“ fragt in seiner aktuellen Ausgabe zu Recht: War’s das mit der Globalisierung? Die Digitalisierung, neue Techniken wie der 3-D-Druck, aber auch der Rückfall in eine alte Abschottungspolitik dürfte den Welthandel nachhaltig bremsen. Dem Hafen, der Herzkammer der Hamburger Wirtschaft, drohen ernste Probleme. Die OECD prognostiziert schon die „Demaritimisierung“ der Hafenstädte.
Es wäre aber der falsche Schluss, deshalb den Hafen zu vernachlässigen. Die Elbvertiefung, die Sanierung und der Ausbau der Infrastruktur und Investitionen in die Digitalisierung sind heute nicht weniger nötig, sondern sogar nötiger denn je. Der Hafen ist für Hamburg identitätsstiftend, er bleibt Sehnsuchtsort und Wirtschaftsfaktor zugleich.
Mittelfristig aber ist der Senat gut beraten, einen Plan B zu entwickeln. Städte wie München haben es vorgemacht, indem sie nach der Wiedervereinigung massiv in Wissenschaft und Forschung investiert haben. Inzwischen beschäftigt die Region in Bayern achtmal mehr Menschen in diesem Bereich als die Region Hamburg. Es ist unbestritten, dass Wissenschaft, Universitäten und Forschungseinrichtungen wichtige Motoren für Wachstum und Wohlstand sind. Hamburg muss eine Metropole der Wissenschaft werden – diese Botschaft haben die Altpolitiker Wolfgang Peiner (CDU), Willfried Maier (Grüne) und Klaus von Dohnanyi (SPD) 2014 an den Bürgermeister adressiert, die Handelskammer hat diese Forderung kürzlich erneuert. Doch die Politik zögert noch. Wie sagte Rudolf Augstein? „Das ,zu spät‘ ist die große Totenglocke der Geschichte.“