Statt in der Flüchtlingskrise neue Gesetze zu erfinden, sollte die Politik die bestehenden einhalten.

Die Übergriffe in der Silvesternacht haben die deutsche Politik aus dem Wir-schaffen-das-Modus gerissen. Angesichts marodierender Banden meist junger Migranten in mehreren Städten und der gewalttätigen Antwort heimischer Rechtsextremer überbietet sich die Politik im Produzieren von Gesetzesvorschlägen und Ankündigungen von Maßnahmen, deren Durchsetzung von vornherein unmöglich – weil nicht rechtskonform – oder doch so schwierig ist, dass man auf deren Umsetzung vergeblich warten wird.

Dabei sind die Probleme, die seit Köln das politische Tagesgeschäft bestimmen, nicht in jener Nacht überraschend über uns gekommen. Die Bundesregierung und auch die anderen EU-Staaten haben die Entwicklung der Flüchtlingsströme nahezu tatenlos laufen lassen, solange hauptsächlich nur Italien und Griechenland betroffen waren. Weder eine gerechte Aufteilung noch eine Sicherung der Außengrenzen wurden ernsthaft in Angriff genommen. Der einsame Entschluss der Bundeskanzlerin, angesichts des Menschenzuges über die Balkanroute alle Tore zu öffnen, mag moralisch motiviert und begründbar sein. Rechtlich ist er es nicht. Und die Hoffnung, Europa werde sich angesichts der deutschen Vorleistung und der Größe der Aufgabe schon zu einer gemeinsamen Lösung verständigen, hat sich nicht erfüllt.

Die Menschen kommen zudem in ein Land, das wirtschaftlich und organisatorisch sicherlich in der Lage ist, Großes zu vollbringen. Es ist aber auch ein Land, von dem sich viele falsche Vorstellungen machen. Milch und Honig fließen auch hier nicht automatisch. Die Globalisierung hat auch hier zu einem dramatischen Auseinanderdriften von Arm und Reich geführt. Die Erhard’schen Zeiten eines Wohlstands für alle sind gute alte bundesrepublikanische Geschichte – so wie Wahlbeteiligungen jenseits der 80 Prozent. Dass die deutsche Gesellschaft in ihrer Nachkriegsgeschichte von sozialem Frieden geprägt war, liegt an trotz allem noch funktionierenden Ausgleichsmechanismen und einer allgemeinen Akzeptanz von Gesetzen und Regeln. Letztere ist allerdings gestört – durch junge Männer, die als Flüchtlinge, die sie sein wollen, nicht nur die Gesetze ihres Gastlandes zu akzeptieren haben, sondern eigentlich auch für ihre Aufnahme dankbar sein sollten. Der Zusammenhalt ist auch gestört durch rechte Schläger und Ausländerhasser, die nicht erst seit dieser Woche Unterkünfte anzünden und wahllos Menschen angreifen, nur weil sie anders aussehen.

Fatalerweise ist der innere Frieden aber auch durch die Regierung selbst gestört. Sie hat ohne Rücksprache mit den europäischen Partnern oder dem eigenen Parlament die Grenzen für nicht kontrollierbar erklärt, so einen Teil der staatlichen Souveränität preisgegeben sowie die Abkommen von Dublin und Schengen außer Kraft gesetzt. Der unkontrollierte und unbegrenzte Zustrom wird weder durch das Asylrecht noch durch die Genfer Flüchtlingskonvention gefordert. Asyl steht politisch Verfolgten zu, der Flüchtlingsstatus Menschen aus Kriegsgebieten. Würde beides an den Außengrenzen der EU ernsthaft geprüft, müsste die Union nicht über Obergrenzen debattieren.

Mit seitlichen Arabesken im Sexualstrafrecht oder einer Verschärfung der Abschieberegelungen, die sich dann doch nicht umsetzen lassen, ist nicht viel erreicht. Es geht um prinzipielle Dinge. Will die Bundesregierung, wollen die Parteien die Menschen wieder für das Gemeinwohl und eine größere Teilhabe an politischen Prozessen gewinnen, müssen sie Glaubwürdigkeit zurückgewinnen und geltendes Recht durchsetzen, statt ständig neues erfinden zu wollen.