Nach dem Olympia-Aus herrscht in Hamburg Bescheidenheit. Das muss nicht schlecht sein

Jetzt beginnt sie also, die visionslose Zeit. Der Traum von Olympia 2024 in Hamburg ist zerplatzt. Und SPD und Grüne, die die Mehrheit in der Bürgerschaft stellen, machen keine Anstalten, flugs eine neue Entwicklungsperspektive, gar ein neues Leitbild für die Stadt aus dem Hut zu zaubern. Von sofort an regiert wieder der Spiegelstrich des rot-grünen Koalitionsvertrages. Oder wie Sport- und Innensenator Michael Neumann (SPD) mit sarkastischem Unterton gesagt hat: „Dann eben wieder Busbeschleunigung.“ Nach dem Nein der Mehrheit der Hamburger zum weltgrößten Sportereignis herrscht neue Bescheidenheit im Rathaus.

Noch sind der tiefe Frust und, ja, die Verunsicherung hinsichtlich eines vermeintlich wankelmütigen Volkes bei den politisch verantwortlichen Olympia-Befürwortern deutlich zu spüren. Das ist der richtige Augenblick, um sich erst einmal die Lage nüchtern vor Augen zu führen, anstatt sich kopfüber in das nächste visionäre Projekt zu stürzen, wie es Handelskammer-Präses Fritz Horst Melsheimer („Feuer und Flamme für die Wissenschaft“) gerade vorgeschlagen hat.

Olympia 2024 hätte ohne Frage die Entwicklung der Stadt beflügeln können. Die Ausrichtung der Spiele, wenn es denn letztlich überhaupt dazu gekommen wäre, hätte einen erheblichen Schub für die Infrastruktur der Stadt mit einem neuen Stadtteil auf dem Kleinen Grasbrook bedeutet. Olympia hätte Hamburg in der Welt bekannter gemacht – mit allen positiven Folgen für die hiesige Wirtschaft. Der Charme der Olympia-Bewerbung lag aber darin, dass ihr eine konkrete, für jeden nachvollziehbare Vision zugrunde lag.

Vergleichbares, das gebietet die Ehrlichkeit zu sagen, ist im politischen Themenkasten gerade nicht zur Hand. Sicher: Wer wollte bestreiten, dass der Hafen derzeit ein Problemfall ist? Da ist die nach wie vor ausstehende Elbvertiefung mit der Folge einer drohenden Abwanderung von Reedereien. Der Rückgang des Hafenumschlags ist ein schwerwiegendes Alarmzeichen, Hamburg läuft Gefahr, den Anschluss an die Konkurrenten Rotterdam und Antwerpen zu verlieren und zu einem Regionalhafen zu werden. Nun kann ein Hafenentwicklungskonzept Wege aus der Krise aufzeigen, aber eine Vision für die Stadt, die alle Bürger gleichermaßen interessiert und fesselt, wird daraus noch lange nicht.

Beispiel Wissenschaft: Wer wollte bestreiten, dass der Wissenschaftsstandort Hamburg bundesweit nicht die Bedeutung hat, die der Größe der Stadt entsprechen würde? Spitzenleistungen der Forschung sind, abgesehen von Desy und wenigen anderen Einrichtungen, Mangelware. Zu Recht wird seit Jahren gefordert, den Hochschulbereich zum politischen Schwerpunkt zu erklären. Insofern liegt Präses Melsheimer richtig. Nur: Eine Zukunftsvision, die auch hochschulfer­nere Gruppen der Gesellschaft erfasst und befeuern kann, wird daraus noch lange nicht.

Als der damalige Bürgermeister Ole von Beust (CDU) nach der Jahrtausendwende das Leitbild der Wachsenden Stadt ausrief, wirkte das als Signal des Aufbruchs in eine neue Zeit – zumindest bei den Eliten der Stadt. „Wir trauen uns was“, lautete das Motto, und in gewisser Hinsicht war die Olympia-Bewerbung Spätfolge des Anspruchs, der hinter diesem Leitbild, dieser Vision stand. Eine Lehre aus dem Olympia-Aus ist dagegen, dass viele Hamburger es mit dem Spruch von Helmut Schmidt halten: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“ Es ist daher konsequent, wenn die Politik jetzt in eine pragmatische Phase wechselt, in der es vordringlich um die Lösung von Problemen geht. Davon gibt es schließlich genug. Die Unterbringung von Flüchtlingen und deren Integration ist das drängendste und bekannteste Beispiel.