Tätige Reue sieht anders aus. Frau Seltsam, oder: wie Beate Zschäpe lernte, die Ahnungslose zu mimen

Das war er. Zschäpes Auftritt. Ein Rummel, als wären wir Zeugen einer Mondlandung gewesen. Es ist zum Lachen. Wenn es nicht so traurig wäre.

Zwei Schlüsselsätze. „Bis zum heutigen Tag weiß ich die wahren Motive der beiden nicht.“ Und: „Ich fühlte mich wie betäubt.“ Wir lernen daraus, dass Beate Zschäpe wenig zur Aufklärung der NSU-Morde beitragen will und eine Verharmlosungsstrategie verfolgt.

Man hat insgeheim gehofft, dass sie auspackt. Zschäpe machte das Gegenteil: Eine taktische Aussage. Sie ist so unglaubwürdig, dass das Gericht sie unmöglich für voll nehmen, geschweige denn Strafmilderung erwägen kann. Das gilt auch für Zschäpes Entschuldigung. Wer will, kann sie als Reue auslegen. Nur, tätige Reue war es nicht.

Besonders seltsam ist ihre Einlassung, sie fühle sich moralisch schuldig, weil sie die Morde nicht verhindern konnte. Sie konnte schon. Sie wollte nicht. Ihr fehlte alles dafür: Einsicht, Mut, Aufrichtigkeit. Ihre Biografie, ihre Gesinnung und die Ergebnisse der mehrjährigen Beweisaufnahme sprechen gegen die Selbstdarstellung: ein armes Ding, schwach, ahnungslos. Hallo!

Grotesk auch der Versuch ihrer Erklärung für den Mord an der Polizistin Michele Kiesewetter: Sie hätten es auf die Waffen der Beamtin abgesehen. Das kann ein Motiv gewesen sein. Aber es ist kaum die ganze Wahrheit. Es ergibt keinen Sinn, quer durch die Republik – von Thüringen bis nach Heilbronn – zu reisen und am helllichten Tag morden. Das Risiko ist zu groß. Es gab andere Wege, an Waffen heranzukommen. Sie hätten Kiesewetter auch nicht erschießen müssen, sondern entwaffnen können. Es klingt unglaubwürdig, dass die Polizistin ein Zufallsopfer, bloß zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort war. Der Fall war, ist und bleibt rätselhaft.

Entscheidend ist, dass Zschäpe ihr Schweigen gebrochen hat. Wer es einmal getan hat, wird es wieder tun. Dass sie nicht offen Rede und Antwort stehen, sondern sich nur schriftlich erklären will, erhärtet das Bild von ihr: ein Kontrollfreak. Sie will sich nicht aus der Reserve locken lassen, weil sie im Kreuzfeuer womöglich aus Versehen die Wahrheit ausplaudern würde. Was sie auch sagen, besser gesagt: schreiben will, wird juristisch geeicht, geprüft, parfümiert. Duftnote: Ahnungslosigkeit.

Sie ist nicht verpflichtet, sich selbst zu belasten. Es ist eine legitime Strategie, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die beide tot sind, alle Schuld an den Morden, Anschlägen, Überfällen in die Schuhe zu schieben. Politisch ist es eine Tragödie. Diese Morde haben zum einen die Republik erschüttert. Sie gehören zum dunkelsten Kapitel der Bundesrepublik. So wie die Dinge liegen, kann nur Zschäpe Licht ins Dunkel bringen. Die Chance ist vertan. Zum anderen sind da die Angehörigen der Opfer. Sie finden keine Ruhe, bis sie die Hintergründe kennen, bis sie wissen, warum zehn Menschen sterben mussten; warum gerade ihre Ehemänner, Mütter, Brüder und Söhne. Von dieser quälenden Ungewissheit könnte nur Zschäpe sie erlösen. Noch eine vertane Chance.

Es ist unplausibel, dass sie ein halbes Leben mit den zwei Uwes gelebt hat, sie unterstützte, zu ihrer Tarnung beitrug, aber nichts über die Morde erfuhr, nichts vom NSU wissen wollte. Zu besichtigen war gestern in München nicht eine Frau, die sich quält, die sich mit den Untaten auseinandersetzt und die um Wiedergutmachung bemüht ist, sondern: viel Verblendung, wenig Distanzierung. Sie nimmt noch immer Rücksicht auf das Milieu. Ein übles Sittengemälde.

Die Frau hat kalte Füße bekommen, weil das Urteil näher rückt. Aber auf die einfache Tour wird sie den Hals nicht aus der Schlinge ziehen können. Wenn sie wollte, dann könnte Zschäpe erklären, wer Mundlos und Böhnhardt waren, mit wem sie verkehrten, warum sie mordeten und wie sie mit ihrer Schuld leben konnten. Zschäpe könnte es zumindest versuchen. Aber sie will es nicht. Sie wird dafür allerdings auch einen Preis zahlen müssen.