Matusseks Smiley und die Posse um Xavier Naidoo: Kaum wagt sich einer zwei Millimeter aus dem Mainstream heraus, beginnt der Shitstorm.

Neulich beim Kneipenquiz lautete eine Frage: Für welche Äußerung gegenüber seinem Chefredakteur ist Matthias Matussek von der „Welt“ gefeuert worden: a) „romantischer Althippie“, b) „Legastheniker aus Leidenschaft“, c) „rechter Oberspießer“ oder d) „durchgeknalltes Arschloch“? Mit d lag unsere Rategruppe richtig. Danach ging’s um die Haare von Eisbären.

Manche Medien hat das Scharmützel bei der „Welt“ allerdings tagelang bewegt. Nach dem Terror in Paris, hatte Matussek geunkt, werde sich auch die deutsche Debatte „über offene Grenzen und eine Viertelmillion unregistrierter junger islamischer Männer im Lande in eine ganz neue frische Richtung bewegen“. Dahinter setzte er ein grinsendes Smiley. Würde sich Matussek also über eine restriktivere Flüchtlingspolitik freuen? Oder war das Smiley ironisch gemeint?

Die Berliner Medienrepublik kreiste mal wieder um sich selbst. Muss man überhaupt lesen, was Selbstdarsteller wie Matussek täglich in die globale Quasselbude tröten? Nein. Ich lese auch die „Bunte“ oder „Wild und Hund“ nur beim Zahnarzt.

Immerhin zeigt der Fall, wie nervös die Stimmung zurzeit ist. Wer unterstützt was? Wer bedient Pegida und warum? Das schlägt sogar auf den Pop-Stadel Eurovision Song Contest durch. Wer darf Deutschland vertreten: Ist das jetzt eine politische oder musikalische Frage? Dass Xavier Naidoo einer der erfolgreichsten deutschen Künstler ist, müssen selbst Kritiker der „Mannheimer Heulboje“ zugeben. ESC-Kenner Jan Feddersen nennt ihn das „momentan deutscheste, populärste, interessanteste, weil nicht berechenbar-langweiligste Momentum“ in der öffentlichen Arena. Für Kritiker ist rechts neben dem Sänger nur noch die Wand. Dass „ausgerechnet Naidoo in Zeiten von Pegida und AfD das Gesicht Deutschlands in der Welt sein soll“, empört sich Claudia Roth, sei „voll daneben“.

War Conchita Wurst „das Gesicht Österreichs in der Welt“? Politisch wohl kaum. Ich habe mir die Vorwürfe („homophob und antisemitisch“) und Song-Zitate, die Naidoos Gegner ins Feld führen, genau durchgelesen. Auch das, was er selbst in einem „Stern“-Interview zu den Anschlägen von 9/11 und über seine Zweifel an der Souveränität Deutschlands sagte. Das Einzige, was ich in diesem Sammelsurium erkennen kann, ist ein Mann, der offenbar von den Minenfeldern der deutschen Geschichte keine Ahnung hat. Der aus Neugier zu einer „Reichsbürger“-Versammlung geht und sich dort aufs Podium bitten lässt(!). Der sich, um in Songs Ärger oder Wut auszudrücken, naiv wie ein Quietscheentchen mal bei Friedensaposteln, mal bei Staatsleugnern, mal bei Rapper-Gewaltfantasien oder bei „9/11“-Verschwörungstheo­retikern bedient, ohne das Gewicht seiner Puzzleteile zu erkennen. Aber was hätte er denn in Stockholm gesungen? Das stand doch noch gar nicht fest.

In unserer Talkshow-, Facebook- und Publikumssieger-Repu­blik geraten Fußballspieler, Prominente, Künstler und Klugscheißer immer mal in Shitstorms, bei denen man sich fragt: Haben wir keine anderen Sorgen? Eine meinungsfreudige Republik muss Meinungen aushalten können (solange sie keine Hetze sind). Ständig wird nach „Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten“ gerufen. Aber kaum ragt jemand mit einer anderen, kratzigen, meinetwegen auch dusseligen oder abseitigen Äußerung zwei Millimeter aus dem Mainstream heraus, herrscht kolossale Aufwallung.

Wir sollten uns vor einer Auf­passermentalität hüten und stattdessen die Kunst der Differenzierung pflegen. Sonst werden wir an den wirklich drängenden und polarisierenden Fragen der Gegenwart scheitern. Dazu gehört sicher die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen, aber auch die Verteidigung demokratischer Frei­heiten gegen Terror und Ignoranz.

Noch einmal zu Matussek: Sicher wäre es naiv zu glauben, dass Islamisten nicht die Flüchtlingsströme nutzen würden, um Kämpfer nach Europa zu schleusen. Das sehen viele syrische Flüchtlinge selbst mit Sorge. Insofern wäre Matusseks Einlassung nicht aufregend. Aber zur Erörterung solcher ernsten Fragen ist Facebook-Gelärme mit oder ohne Smiley einfach unangemessen.