Russlands Präsident greift mit Luftangriffen in den Syrien-Konflikt ein

Dass Russland so schnell – und einseitig – Luftangriffe auf Ziele in Syrien fliegt, kommt doch überraschend. Es ist keine drei Tage her, da hat Kremlchef Wladimir Putin vor der UN-Vollversammlung das Hohelied auf den internationalen Schulterschluss gegen den islamistischen Terror gesungen. Er warb sogar für ein breites Bündnis nach dem Modell der Anti-Hitler-Koalition während des Zweiten Weltkrieges.

Dies – so scheint es – war nur Propagandanebel für die UN-Galerie. Denn die Attacken russischer Kampfjets auf Stellungen nahe der syrischen Stadt Homs am Mittwoch richteten sich nicht gegen die Terrormilizen des „Islamischen Staates“ (IS). Sie hatten vielmehr Rebellenverbände im Visier, die gegen die Truppen von Syriens Diktator Baschar al-Assad kämpfen, wie US-Quellen am Mittwoch berichteten.

Ob es sich dabei um Islamisten oder gemäßigte Assad-Gegner handelte, war zunächst nicht klar. Die Gefechtslage im syrischen Bürgerkrieg ist höchst unübersichtlich. Doch Putin gab zumindest einen deutlichen Hinweis: Russland werde die syrische Armee so lange unterstützen, bis diese ihren Einsatz beendet habe.

Die Aktion und vor allem das Tempo legen nahe, dass der russische Präsident Etikettenschwindel in großem Stil betreibt. Heimlich, still und leise hatte er vor wenigen Wochen militärisches Gerät auf eine Luftwaffenbasis unweit der syrischen Hafenstadt Latakia verlegt. Als Medien in Israel und den USA darüber berichteten, spielte Putin den Ahnungslosen. Reine Vorsichtsmaßnahme, nichts sei geplant, lauteten die Schalmeientöne aus Moskau. Später ließ er verbreiten, dass es in erster Linie um die Eindämmung der Killerschwadronen des IS gehe.

Seit gestern wissen wir: Der Hauptzweck der russischen Mission ist die Rettung Assads. Die mit großem Getöse angekündigte Kampagne gegen den IS ist nur Fassade. Wäre es Putin wirklich um die Zerschlagung der Gotteskrieger gegangen, hätte er sich um internationale Rückendeckung bemüht.

Damit untergräbt Putin seine eigene Glaubwürdigkeit. Unzählige Male hatte er die Militärinterventionen des Westens im Irak und in Libyen als unilaterale Missionen gegeißelt – am Völkerrecht und an der UN vorbei. Nun pfeift er selbst auf die Legitimität eines internationalen Mandats. Putin lässt die Maske fallen.

Über die wahren Motive des russischen Präsidenten kann man spekulieren. Nach der gestrigen Operation spricht vieles dafür, dass er sich mit Macht einen Platz am internationalen Tisch der Entscheider sichern will. Es geht ihm um Muskelspiele und Einflusszonen. Putin, der den Zusammenbruch der UdSSR einmal als die „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet hat, trägt offenbar mehr altes, imperiales Denken in sich als bisher gedacht. Seine Botschaft: Russland ist keine Regionalmacht. Die Frage ist, wie viel postsowjetischer Phantomschmerz noch in der russischen Außenpolitik steckt.

Die Lage im syrischen Bürgerkrieg wird damit noch vertrackter. Es gibt mehr als 100 verschiedene Milizen – selbst islamistische Verbände sind zum Teil untereinander verfeindet. Die US-geführte Koalition fliegt Luftangriffe auf den IS. Russland hingegen attackiert Assad-Rebellen, die möglicherweise von Amerika, der Türkei oder den Golfstaaten unterstützt werden.

Was passiert, wenn russische Kampfjets westliche Einsatzkräfte beschießen – oder umgekehrt? Es wäre genau die Art der „Konfrontation“, vor der US-Außenminister John Kerry bereits vor Wochen gewarnt hatte.

Fest steht: Putin betreibt mit seiner neuen Marschroute in Syrien ein gefährliches Spiel. Er verfolgt ausschließlich eigene Interessen und ist unberechenbar. Damit befeuert er das tief sitzende Misstrauen im Westen.

Für den Nahen Osten, durch den die gefährlichsten Konflikte unserer Tage verlaufen, bedeutet das nichts Gutes.