Zeise 2 ist eine kleine Baustelle für Ottensen, aber eine große für Hamburg: Die direkte Demokratie stößt an ihre Grenzen.

Die direkte Demokratie hat in der Hansestadt schon seltsame Blüten getrieben. Die bizarrste wächst derzeit im Bezirk Altona. Hier dürfen bis Mittwoch 200.000 Bürger über eine Baustelle an der Behringstraße (Zeise 2) abstimmen. Dort drehen sich zwar längst die Kräne und werden Fakten in Beton gegossen, aber alle Wahlberechtigten zwischen Wohlerspark und Wedel müssen trotzdem befragt werden, weil ein Bürgerbegehren es so verlangt. Das bindet Arbeitskräfte in der Verwaltung, kostet den Steuerzahler rund 280.000 Euro und bewirkt – vermutlich – nichts. Was nach einer Realsatire klingt, nennt sich direkte Demokratie.

Nun ist das Anliegen der Initiative „Pro Wohnen Ottensen“ auf den ersten Blick nachvollziehbar. In dem Szene-Stadtteil, das ist ein alter Hut, fehlen Wohnungen. Da hat der überraschende Schwenk, auf dem Zeise-Parkplatz statt 86 Wohnungen doch ein Bürogebäude für die Werbeagentur WPP zu errichten, vielen im Bezirk vor den Kopf gestoßen.

Andererseits war die Ansiedlung kreativer Firmen stets ein Ziel der Politik. Viele Kritiker übersehen: Ottensen ist immer ein gemischter Stadtteil gewesen. Seinen Aufstieg verdankt er der Industrialisierung, erst mit den Firmen zogen viele Menschen hierher.

Bis heute profitiert Ottensen vom industriellen Erbe: Ob Kultur in Fabrik, ob Zeisehalle, Werkstatt 3 oder das Monsun-Theater, ob Kontore in alten Fabriken an Holstentwiete oder Planckstraße – die Nähe von Gewerbe und Wohnen machen den Reiz von Ottensen aus.

Warum sollte da ein Bürohaus den Untergang des Stadtteils heraufbeschwören? Die Gegner warnen gar vor der „Zerstörung Altonas“ – darunter geht es wohl nicht – und liefern ein wirres Potpourri an Forderungen: Auf dem Zeise-Parkplatz sollen Wohnungen entstehen; ein paar Hundert Meter weiter aber muss die Verdichtung der Innenhöfe verhindert werden. Denn die „ungezügelte Bauwut“ bedeutet, genau, ebenfalls die „Zerstörung Altonas“. Alles klar?

Nun soll ein Referendum den Bau stoppen, der längst genehmigt ist. Die Forderung klingt so irreal, dass fast alle Parteien Altonas sich kopfschüttelnd abwenden. Nur die Linke marschiert Seit’ an Seit’ mit den Baugegnern und unterstützt, wo sie kann. Drollig, dass ausgerechnet die Partei, die die herrschenden Zustände radikal ablehnt, zugleich gegen jede Veränderung vor Ort kämpft. Aber wie kann eine Partei, die stets klar unter zehn Prozent bleibt, so viel Einfluss nehmen? Genau – via direkte Demokratie.

Es ist das Instrument einer lautstarken, rhetorisch geschickten und gut organisierten Minderheit, es ist zu oft das Mittel der Verhinderer. Es ist stets leichter, Nein-Sager zu motivieren als Befürworter. Und es ist die Inszenierung eines Kampfes zwischen dem guten David und dem bösen Goliath. Bei einer vermeintlich so hehren Sache lassen sich Kulturschaffende gern einbinden – gegen Zeise 2 etwa kämpfen auch Musiker und Schauspieler mit ihrem Konterfei. Leben wir doch in einer bunten „Gala“-Demokratie?

Um Argumente geht es bei der Zeise-2-Parkplatzprügelei kaum noch, gekämpft wird mit Haken und Ösen. Scheinheilig fragt der Bauherr: „850 Jobs für Ottensen? Sind Sie dafür?“ Hm, die Arbeitsplätze werden nicht neu geschaffen, sondern ziehen nur innerhalb Hamburgs um. Extrem steil gehen die Zeise-2-Gegner mit ihrer Animation um: Da landet vermeintlich ein gigantischer Granitblock mitten in Ottensen, wo doch nur ein durchaus passendes vierstöckiges Geschäftshaus mit zwei Staffelgeschossen entsteht.

Zeise 2 mag eine kleine Baustelle in Ottensen sein, sie zeigt zugleich Hamburgs Großbaustelle auf: die Macht kleiner Initiativen. Altona stimmt über etwas längst Entschiedenes ab – das ist so sinnvoll, wie nach dem Essen zu diskutieren, was man hätte kochen sollen. Denn der Bau kommt so oder so, zur Not überstimmt der Senat die Bürger. Nur das Geld – das ist weg.

Dabei gäbe es im Stadtteil doch mehr als genug zu tun. Der FC Teutonia beispielsweise hätte für seine Flutlichtanlage in Ottensen gern 60.000 Euro bekommen. Die muss der Verein nun selbst sammeln, um die Kinder von der Straße zu holen und Jugendarbeit im Stadtteil machen zu können.