Falsche Anreize als Triebfeder von Manipulationen
Nach dem dramatischen Machtkampf im Frühjahr der Absturz im Herbst: Volkswagen und Wolfsburg kommen nicht zur Ruhe. Die so ertragreiche Ära des Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn, die der Aufsichtsrat vergangenen Freitag eigentlich um drei Jahre verlängern wollte, ist durch einen gigantischen Betrugsskandal abrupt beendet worden. Der Autohersteller, der gute Chancen hatte, in diesem Jahr erstmals mehr Fahrzeuge als der weltführende Rivale Toyota zu verkaufen, musste eingestehen, die Abgaswerte seiner Dieselautos in den offiziellen Tests systematisch manipuliert zu haben. Das schickte den Aktienkurs 40 Prozent in die Tiefe. Winterkorn übernahm die Verantwortung für das Debakel, auch wenn er beteuert, nichts gewusst zu haben.
Die Ausläufer des Schocks haben die Autobranche mitten in ihrem Hochamt erfasst: der mit großem Aufwand und Glanz zelebrierten Automesse IAA in Frankfurt. Statt um die saubere digitale Zukunft im selbstfahrenden Auto dreht sich plötzlich alles wieder um den schmutzigen Diesel der Gegenwart. Nicht nur Volkswagen muss sich erklären. Denn die Offenbarung der Wolfsburger, man habe bestimmte Normwerte gar nicht mit deutscher Ingenieurskunst erreicht, sondern mit einer Software, die falsche Testergebnisse liefert, wirft unweigerlich die Frage auf: War es wirklich nur Volkswagens Unvermögen, oder hat auch die Konkurrenz getrickst?
Die anderen Autohersteller haben sich beeilt, ihre Unschuld zu beteuern. Aber so schnell wird man auch ihnen die behauptete Umweltfreundlichkeit nicht mehr abnehmen. Die VW-Affäre hat eine neue Debatte über die Testverfahren ausgelöst, die auch dem letzten Autofahrer die Augen öffnen wird, wie weit die auf dem Prüfstand erzielten Ergebnisse von seiner Wirklichkeit im Verkehr entfernt sind.
Wer nach besseren staatlichen Kontrollen ruft, sollte sich klarmachen, dass die Politik mit am Pranger steht. Ob in Amerika oder Europa: Hinter den Versuchen, der Autoindustrie in rasantem Tempo immer striktere Abgasnormen aufzuzwingen, verbergen sich auch andere Absichten als das hehre Ziel des Klima- und Umweltschutzes. Teils dienen die Vorgaben der Protektion eigener Hersteller, in jedem Fall will man die Wähler beeindrucken mit Abgaswerten, die am Steuer nicht zu erreichen sind. Das muss an Grenzen stoßen. Technisch ist noch sehr vieles machbar, entscheidend aber ist, wofür der Massenkunde am Ende zahlt.
Als mit einer Sperrminorität versehener Eigentümer von Volkswagen sitzt die Politik gerade bei VW direkt mit im Boot. Immer wieder war vor den Kameras diese Woche vor allem der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil zu sehen, neben dem Aufsichtsratsvorsitzenden Berthold Huber, dem früheren Chef der mächtigen IG Metall. Eher im Hintergrund hielt sich der Vertreter der Haupteigentümer, der Familien Piëch und Porsche. Volkswagen ist ein Konzern, in dem Politik und Gewerkschaften traditionell gemeinsame Sache machen. Die Politik schützt den Konzern, weil seine Erträge dem Landeshaushalt helfen und zufriedene Mitarbeiter womöglich auch zufriedene Wähler sind. Das gibt den Gewerkschaften eine starke Stellung, weshalb der Konzern zu hohe Personalkosten und zu geringe Flexibilität des Stammpersonals durch Innovationen und Einsparungen auszugleichen sucht. Vielleicht liegt hier eine Triebfeder für Manipulationen.
Aber die Öffentlichkeit wird sich schneller wieder beruhigen, als es in der ersten Aufregung den Anschein hat. Überflüssig sind apokalyptische Warnungen von Ökonomen, die schon die ganze deutsche Exportindustrie in Mitleidenschaft sehen. Volkswagen ist ein sehr großer Konzern mit einem sehr großen Problem, die deutsche Wirtschaft repräsentiert er nicht.