Eine Performance-Verachtung von Joachim Mischke
Wer will, könnte womöglich dramaturgisch unterfütterte Thesen und Argumente für eine theatrale Aktion der sehr besonderen Art finden, die das Theater Bochum vorgestern Abend auf seinem Vorplatz veranstaltete: Wer wollte, konnte sich mit genau 70 anderen Menschen für einige Momente in einem LKW einpferchen lassen. 15 Quadratmeter todbringende Event-Bühne, umsonst und draußen, und sich danach noch ganz betroffen einen schönen Abend machen, bevor es endgültig Herbst wird und der Grill wieder in den Keller kommt. Ein Spediteur hatte die Idee, den Massenmord an 71 Flüchtlingen als moralische Erziehungsmaßnahme nachzustellen. „So eine abstrakte Zahl, die möchte ich mit Leben füllen“, ein Satz, den man sich in diesem Zusammenhang nicht dümmer ausdenken kann.
71 Menschen waren vor einigen Tagen in Österreich tot in einem Hühnerfleischtransporter entdeckt worden, elend erstickt, wie Nutzvieh, bei dem das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist und sich das Kümmern nicht lohnt. Wie fühlt man sich da, wie ist das so, war das nicht ganz schlimm fürchterlich, in den letzten Momenten? Das Bochumer Theater hat diese abstruse, pietätlose Performance-Idee allerdings nicht als die Frechheit verdammt, die sie ist, und die Finger davon gelassen, sondern sie aufgegriffen. Der Chefdramaturg hatte zunächst angekündigt, das Thema „versinnlichen“ zu wollen. Mit Sprache und Bedeutung hat er es offenbar nicht so. Aber immerhin hat er erkannt: „Das hier ist keine Kunstaktion.“ Stimmt. Es ist eine Zumutung.