Die Bundeskanzlerin gibt wenig überraschende Antworten auf die Flüchtlingsfrage
Es scheint das Schicksal von Angela Merkel zu sein, dass große Themen ihre Kanzlerschaft prägen, die eines gemeinsam haben: Sie kommen mit enormer Wucht, und es gibt keine schnellen Rezepte, um sie zu beherrschen. Das war so bei beiden Finanzkrisen, beim Thema Fukushima mit dem hastigen Atomausstieg und jetzt beim Drama um die Flüchtlingsströme in Europa.
Obwohl die Kanzlerin den medienwirksamen Auftritt bei den Flüchtlingen lange hinauszögerte, hat sie die Tragweite des Problems schnell erkannt und schwört hinter den Kulissen die Verantwortlichen schon lange eindringlich auf Handeln ein. Das Thema Flüchtlinge ist jetzt Chefsache, das war die wichtigste Botschaft zwischen den Zeilen gestern in der Berliner Bundespressekonferenz. Und die wichtigste offizielle Botschaft war: Wir Deutschen kriegen das hin – trotz widerlicher Stimmungsmache durch die Rechten.
Die Antworten, die Angela Merkel gab, sind angemessen, aber am Ende auch wenig überraschend. Die Forderung nach einer europäischen Lösung, der Appell an Menschlichkeit, die Absage an Fremdenhass und Gewalt – alles ist richtig. Und es ist gut, dass die Kanzlerin so klar Stellung bezogen hat.
Aber viele Bürger sind längst weiter. Sie werden unruhig und fragen sich zu Recht: Wie geht es denn weiter? Was kommt nach der beeindruckenden Hilfswelle der Deutschen, die dem rechten Mob zum Glück die Hoheit über Schlagzeilen entrissen hat? Und vor allem: Wie soll das in Europa funktionieren, wenn nur bei uns auf Dauer Flüchtlinge ordentlich versorgt und eine gesicherte wirtschaftliche Grundlage bekommen?
Die Antworten der Kanzlerin auf diese Fragen sind noch unbefriedigend. Das weiß die Naturwissenschaftlerin Angela Merkel, die Politik immer in logische Prozesse zerlegt und wie in der Physik Ursache und Wirkung analysiert. Daher ist ihr klar, dass es angesichts der weltweit dramatisch steigenden Flüchtlingszahlen natürlich nicht reichen wird, die deutsche Bürokratie auf maximale Effizienz zu trimmen und Etats oder Aufnahmekapazitäten von Flüchtlingslagern zu erhöhen. Es ist engagierte, lobenswerte Hilfe – aber bleibt am Ende auch ein Herumdoktern an Symptomen.
Wenn die hochemotional geführte Debatte um die Flüchtlinge abebbt und die Rechten hoffentlich gestoppt sind, muss sich die Politik den Wurzeln des Problems stellen. Erstens: Wie verhindern wir, dass vom Balkan Flüchtlinge zu uns kommen, für die das Asylrecht eigentlich nie geschaffen wurde und die ihrer Heimat jegliche Perspektive nehmen? Wie versetzt die Weltgemeinschaft die elenden Regionen Afrikas endlich in die Lage, für ihre Bürger menschenwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen? Und wie können blutige Bürgerkriege wie in Syrien schneller beendet werden, damit der Exodus ein Ende nimmt?
Alle drei Probleme sind nicht neu und schuld an den Entwicklungen, die wir jetzt erleben müssen. Und die Probleme sind zum Teil hausgemacht. Etwa durch eine folgenreiche Fehleinschätzung vor dem Libyen-Feldzug, durch die Visafreiheit für Bewohner des westlichen Balkans und die Feigheit der internationalen Staatengemeinschaft bei einer frühen Befriedung des Syrien-Konflikts. Die Lösung dieser Probleme wird mehr Geduld, Geld und vereinzelt mehr militärischen Mut brauchen, als wir uns das heute vorstellen können. Und wir brauchen dafür eine Debatte, die die unbequemen Wahrheiten auf den Tisch bringt. Die Regierung – allen voran die Kanzlerin – sollte diese Debatte endlich beginnen und zum Thema für die ganze Gesellschaft machen. Allein wird es die Politik nicht schaffen.